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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Autoren: Jay Lake
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paar bucklige Rinder folgten uns mit Blicken. Kein Licht war in ihren Augen, kein weiser Funke, wie ich ihn aus den feuchten braunen Tiefen von Ausdauers Blick kannte.
    Selbst die Bäume hatten sich verändert. Sie waren schlanker mit schmalen, staubigen Blättern. Der Gegensatz zum glänzenden Laub der wippenden Bananenstauden zu Hause hätte nicht größer sein können. Ich wandte mich um und drehte meine Hand in der Schlaufe, um zurückzugehen und auf die lange gewundene Straße hinabzublicken, die wir gekommen waren.
    Ein Band leuchtete in dem weiten Land unter uns, silberhell und umschlingend wie die schützenden Arme einer Mutter. Felder und Obstgärten und Wäldchen begleiteten es viele Meilen weit. Da und dort sah ich Häuser und die Schwaden von Schmiedefeuern. War das Wasser?, fragte ich mich.
    Der Madenmann verlangsamte seinen Schritt, um mich gewähren zu lassen. »Was siehst du denn?« Seine Worte hörten sich undeutlich und verstümmelt an, als hätte er eben erst sprechen gelernt.
    Ein Land voll Reis und Früchten und geduldigen Ochsen, dachte ich. Mein Zuhause. »Nichts«, sagte ich, denn ich hasste ihn bereits.
    »Nichts.« Er wiederholte das Wort, als wäre es ihm noch nie zuvor in den Sinn gekommen. »Gut, denn du wirst heute diese Gegend verlassen und sie niemals wiedersehen.«
    »Das ist nicht der Weg zu den Himmelsbegräbnisstätten.«
    Statt zu antworten, bedachte er mich mit einem seltsamen Blick. Dann griff er nach meiner Schulter und drehte mich erneut von der Vergangenheit in die Zukunft herum. Der Griff seiner Finger tat eine Weile weh.
    Wir stapften bis in die Abenddämmerung dahin und tranken ab und zu einen Schluck aus seiner ledernen Wasserflasche. Die Straße wurde steinig und schmal. Bald gab es keine Zäune mehr. Niemand beanspruchte dieses karge Land. Dunkle Felsen lagen verstreut, manche so groß, dass der Weg um sie herumführte. Alles, was hier oben wuchs, war von staubigem Grün oder blassem Braun. Jede Pflanze war mit Dornen bewehrt, statt mit Blüten gekrönt wie bei mir zu Hause. Insekten füllten mir die Ohren mit ihrem Summen und verstummten schlagartig beim Schrei eines fernen Raubvogels.
    Die Schatten der wenigen Bäume wurden bereits lang, als ihre Zahl zuzunehmen begann. Ich stolperte vor Müdigkeit. Als ich mich wieder fing, erkannte ich, dass wir zum ersten Mal seit unserem Aufbruch bergab gingen.
    Vor uns erstreckte sich vom Fuß des Hanges eine eisengraue Ebene in die Dunkelheit hinein.
    »Das ist das Meer«, sagte der Madenmann. »Hast du schon einmal davon gehört?«
    »Ist es aus Stein?«
    Er lachte. Einen Moment lang glaubte ich, den wirklichen Mann hinter dem vielen Stoff und den seltsam gesprochenen Worten zu hören. »Nein. Wasser. Alles Wasser der Welt.«
    Das erschreckte mich. Ein Graben war eine Sache, aber genug Wasser, um das gesamte Land wie ein Reisfeld zu fluten, eine ganz andere. »Warum gehen wir zu dem Wasser?«
    »Weil das Meer der nächste Schritt auf deinem Lebensweg ist.«
    Es schien grenzenlos zu sein. Ich konnte das andere Ende nicht erkennen. »So weit kann ich nicht schwimmen.«
    Der Madenmann lachte wieder. »Komm. Ein Stück weiter erreichen wir ein Haus. Dort können wir etwas essen. Dann erzähle ich dir von den …« Er hielt inne und suchte nach einem Wort. »Wasserhäusern«, sagte er schließlich merklich verlegen.
    So jung ich auch war, wusste ich doch recht gut, dass niemand sein Haus aus Wasser baute. Der Madenmann war entweder ein Idiot, was ich nicht glaubte, oder er hatte wieder nicht die rechten Worte gefunden.
    »Ich habe Hunger«, sagte ich höflich.
    »Dann komm«, erwiderte er.
    An diesem Abend aßen wir Eintopf in einer Herberge. Wenn ich jetzt zurückdenke, wird mir klar, was für eine kleine, armselige Spelunke es gewesen sein musste, vor allem in den Augen meines Entführers, aber sie war seinen Absichten wohl dienlich. Sie glich der Hütte meines Vaters – Lehmmauern mit einem Balkengerüst für das Strohdach. Das Innere war jedoch größer und bot Raum genug für vier Tische und das Kochfeuer mit dem Eisenkessel.
    Ich hatte noch nie ein so großes Gebäude gesehen.
    Wir saßen auf einer Bank an einem der Tische. Alle Augen der Gäste an den Nebentischen wandten sich dem Madenmann zu. Niemand sagte ein Wort, aber ich erkannte damals bereits, dass Ärger sein steter Begleiter, dass er ein wandelnder Fluch war. Er löste das Band. Ich vermag nicht zu sagen, ob er das tat, weil es angenehmer beim Essen war, oder weil
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