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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte
Autoren: Julia Stuart
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Hinrichtungsstätte erfreute, während eine andere Gruppe, noch vollkommen verzückt vom schimmernden Glanz der Kronjuwelen, soeben aus den Waterloo Barracks trat. Sein Blick richtete sich jetzt auf die Kapelle, und er musste wieder an das denken, was Ruby Dore im Well Tower gesagt hatte. Konnte er sich allen Ernstes einen Diener Gottes nennen? Mit dieser Frage quälte er sich herum, seit seine literarische Karriere durchgestartet war, aber die Verwandlung der Damen hatte seine Zweifel stets verdrängt. Sie verwendeten so viel Sorgfalt auf die Pflege des Küchengartens, weit mehr, als sie selbst es sich je wert gewesen waren.
    Traurig, dass seine Beziehung mit der Gastwirtin vorbei war, bevor sie überhaupt begonnen hatte, sah er sich in den nächsten Jahren weiterhin auf dem Sofa mit der aufmüpfigen Sprungfeder in seinem tristen Junggesellenwohnzimmer sitzen. Als er den Anblick nicht mehr ertragen konnte, stand er auf und stieg die Treppe hoch. Er öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer und setzte sich an den Schreibtisch, um eine Predigt zu schreiben, aber ihm fehlte jede Inspiration. Er stand auf und schaute aus dem Fenster, um sich dort inspirieren zu lassen, dann lief er im Zimmer auf und ab und suchte die Erleuchtung auf den Fußbodendielen. Als sie sich immer noch im Verborgenen hielt, setzte er sich in seinen abgenutzten Ledersessel und schloss die Augen in der Hoffnung, eine passende Idee möge vom Himmel auf ihn herabkommen. Das Einzige, was herunterfiel, war jedoch eine staubige Spinne, die im Tod ordentlich die Füßchen gefaltet hatte. Wieder erhob er sich, blieb auf dem angesengten Flickenteppich vor dem Kamin stehen und schaute zu der Jungfrau Maria hinauf, die sein Vater, weil er von der exquisiten Pinselführung so angetan gewesen war, seiner Mutter auf der Hochzeitsreise geschenkt hatte. Die Erinnerung an die glückliche Ehe seiner Eltern ließ seine Gedanken sofort wieder zu Ruby Dore wandern, und seine Qual wuchs. Sein Blick blieb am weißen Prägepapier der Einladung zum Erotic Fiction Award hängen, die er auf den Kaminsims gestellt hatte. Jetzt nahm er sie und betrachtete sie. Der Goldrand schimmerte im schwindenden Nachmittagslicht. In einer Anwandlung von vollendetem Irrsinn, die er später auf massiven Stress zurückführte, legte er Soutane und Kragen ab, zog seinen Mantel an und verließ den Tower, um sich eine Perücke zu kaufen.
    Es war leichter, als er gedacht hätte, sich in Vivienne Ventress zu verwandeln. Er wusste genau, wo er hingehen musste, da er auf dem Weg zu seinem Lieblingsmetzger schon oft an dem Laden vorbeigekommen war. Der spanische Verkäufer, der in einem kuttenartigen Gewand steckte, das seiner von patatas bravas ruinierten Figur nicht wirklich schmeichelte, eilte ihm sofort zu Hilfe. Nachdem er eine Perücke mit schulterlangem, braunem Haar herausgesucht hatte, stöberte er an seinen Ständern nach etwas, das elegant genug war für ein Dinner, aber auch hinreichend dezent, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Mit wachsendem Entsetzen schaute sich Rev. Septimus Drew die Kleider an und weigerte sich, auch nur eines davon anzuprobieren. Der Verkäufer kehrte zu den Ständern zurück und sammelte mit schnellen, genervten Bewegungen einen zweiten Schwung zusammen. Unter den neuen Modellen entdeckte der Geistliche nun ein schlichtes, langärmliges schwarzes Kleid, das er bereitwillig mit in die Umkleidekabine nahm. Und nicht einmal die Schwierigkeit, mit seinen übermäßig langen Beinen hineinzusteigen, brachte ihn von seinem Wahnsinn ab.
    Als er, die Perücke auf dem Kopf, den Vorhang aufzog, klatschte der Verkäufer in die Hände und schickte ihn zum Spiegel in der Ladenmitte. Beide Männer legten den Kopf schräg und wussten sofort, dass nichts an dieses lange Kleid mit seiner zauberhaften Perlenknopfreihe heranreichen könnte. Nachdem sie das heikle Thema der Unterwäsche abgehandelt hatten, verschwand der Verkäufer im hinteren Teil des Ladens und kam mit einer großen Pappschachtel wieder. Mit ausladender Geste öffnete er sie und präsentierte dem Kaplan ein Paar schwarzer Pumps, die so kolossal groß waren, dass eine ganze Kolonie Ratten darin übers Meer segeln könnte. Nachdem der Verkäufer zum Schluss die grausamen Waffen eines Kosmetiktäschchens zum Einsatz gebracht hatte, betrachtete Rev. Septimus Drew sein Spiegelbild und war überzeugt davon, dass er verführerischer aussah als der bärtige Lord Nithsdale, als dieser im Jahre 1716 im Rock aus dem Tower
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