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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite
Autoren: Carlo Fruttero
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auch sie das alles höchst fragwürdig fand.
    »Dede, erzähl mir doch nicht, dass du bloß hier bist, um mit den Moabitern zu kämpfen.«
    Der Hettiter hieß uns auf zwei Klappstühlen Platz nehmen, stellte uns ein Schälchen mit Zuckertütchen hin. »Zucker oder Süßstoff?«
    »Dede ...«
    Es war klar, dass er Zeit zu gewinnen suchte, dass ihm unbehaglich war, dass er sich in dieser etwas eng sitzenden Jacke, mit diesem etwas zu fest umgebundenen Schal nicht wohl fühlte.
    »Dede, du bist nicht glaubwürdig, was machst du hier wirklich?«
    Der Hettiter schwieg gedankenverloren, dann wich er wieder aus.
    »Böh ... die haben mir gesagt, es sei eine praktisch virtuelle Arbeit, so zwischen Nachtportier und Zimmerkellner ... Ich müsste höchstens mal runter, wenn jemand im unteren Stock mich brauchen sollte.«
    »Aber weißt du, was im unteren Stock vorgeht?«
    »Nein, weiß ich nicht, in den zwei Wochen, die ich jetzt hier bin, haben sie mich nie gerufen, ich komme über eine Hintertreppe hierherauf, sehe niemanden, rede mit niemandem ...«
    Er zappelte auf seinem Stuhl herum, massierte sich die Schulter, zündete sich eine Zigarette an, blickte sich unruhig im ganzen Zimmer um, seine Lippen versuchten ein kameradschaftliches Lächeln. »Aber nein so was auch«, wiederholte er, »schau, schau, dass wir uns alle hier so wiedertreffen!«
    Er log wie gedruckt, der alte Dede, der unbesiegbare Hettiter. Und ich fing an zu überlegen: Dieses Zentrum im Souterrain unter der Leitung der Firstdomina war eine Tarnung; dieser Pärchenklub für unvorstellbare Tauschaktionen unter der Leitung der Firstdoofy war eine weitere Tarnung ... Es konnte kein Zufall sein, die beiden Rivalinnen gaben vor, sich von salon zu salon zu verabscheuen, aber hier drinnen arbeiteten sie zusammen, hatten in Wirklichkeit jede ihre genau angewiesene Rolle in dieser Inszenierung, im geheimen Plan der Eigentlichen Mächte. Und auch Dede der Dialogator steckte da irgendwie mit drin. Wenn er als Nachtportier angestellt war, warum saß er dann nicht am Haupteingang? Und wenn er als Zimmerkellner engagiert war, warum ging er dann nie ins untere Stockwerk hinunter? Eine bestürzende Möglichkeit stieg zitternd an meinem Horizont auf: Er war der Boss, das hier war sein Schlupfwinkel, alle Eigentlichen Mächte hingen von ihm ab, setzten sich mit ihm an diesen Tisch, um diese Rose herum, und unter seiner Leitung trafen sie die großen nationalen und internationalen Entscheidungen, Tokio und Rom, Zürich und Washington, Berlin und ...«
    »Gibt es hier vielleicht ein Badezimmer?« fragte das Mädchen. »Ich würde gern mein Make-up etwas auffrischen, ich muss furchtbar aussehen ...«
    »Aber natürlich, Signorina, kommen Sie.«
    Er stand auf, begleitete sie zu einem Türchen in einer Ecke und kehrte zu mir zurück, massierte sich, meinem Blick ausweichend, die Schulter.
    »Schön, diese Rose«, sagte ich, bloß so, um den Dialog zu eröffnen.
    Ich nahm die enge Kelchvase, führte mir die Rose an die Nase. »Aber sie duftet nicht«, bemerkte ich.
    »Tja, was wollen Sie, Onorevole? Das sind eben Züchtungen, die sind schön zum Anschauen, aber Duft ...«
    Lauretta kam wieder herein und hielt am Absatz einen Pantoffel mit himmelblauem Pompom hoch. »Dede, wo ist der andere?«
    »Ah, böh, ich weiß nicht, vielleicht ist er unter das Bett gerutscht.«
    Er ging auf dem kleinen Kelimläufer in die Knie, steckte den Arm unter das Bett, zog mit angewiderter Miene den anderen Pantoffel hervor.
    »Da drunter ist es ja ganz staubig, hier muss wirklich einmal ...«
    Ich sah ihn verdutzt an. Dede der Dialogator in Frauenkleidern? Im Zuchthaus gehen ja Dinge vor sich, von denen die im Weißen Haus nicht einmal träumen, aber ...
    Lauretta fasste die Pantoffeln an den hohen Absätzen, schwenkte sie einen Augenblick hin und her, reichte sie Dede. »Zieh sie mal an, lass sehen, wie sie dir stehen.«
    »Aber das sind nicht meine!« schrie Dede und ließ sie fallen. »Die sind Größe 44, ich trage eine kleinere Größe, 42 einhalb!«
    Lauretta kam zum Tisch, schnupperte ebenfalls an der Rose. »Sie duftet nicht, schade.«
    »Wie ich gerade zum Onorevole sagte ...«
    »Dede, wen willst du hier verarschen? Im Bad habe ich zwei gleiche Bademäntel hängen sehen, da sind diese Pantoffeln, die Leintücher auf dem Bett haben ein Kaschmirmuster, du hast ein Hermes-Halstuch um, und hier ist eine Rose in einer Lalique-Vase. Dede, also bitte, die weibliche Note ist doch unübersehbar,
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