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Der unsichtbare Feind (German Edition)

Der unsichtbare Feind (German Edition)

Titel: Der unsichtbare Feind (German Edition)
Autoren: Nate Reynolds
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er noch eins drauf, „Meine Frau
ist krank, ich flehe dich an.“
    Jonny grinste innerlich. Das
war eine seiner besten Darbietungen! Richtig getimt, sensibler Touch und von
schauspielerischer Güte.
    Gestresst stellte der Mann
seinen Koffer neben sich ab und kramte in seiner Hosentasche: „Also gut, ich
denke ich hab‘ ein bissl was für dich“, seufzte er.
    Das war Gipsys Einsatz. Er spürte,
wie seine Handflächen feucht wurden. Sein Herz pochte bis tief in seinen
Schädel, er scharrte in den Startlöchern. Mit langen, schnellen Schritten lief
er auf den Mann zu, packte dessen Koffer aus vollem Lauf und rannte, ohne zu
stoppen, an ihm und Jonny vorbei. Schockiert sah ihm der Mann einen Moment lang
nach, bis er sich wieder besonnen hatte und ebenfalls zum Lauf ansetzte. Doch
bevor er starten konnte, stellte sich ihm Jonny abermals in den Weg: „Was ist
jetzt mit meinem Geld?“
    „Scheiß‘ auf dein Geld“,
fluchte der Mann, stieß ihn zur Seite und watschelte Gipsy hinterher.
    „Haltet den Mann, er hat
mich bestohlen“, keuchte der Dicke aus Leibeskräften, während er seinen
massigen Körper in Bewegung versetzte.
    Aber wie es in einer
Großstadt nun einmal war, fühlte sich niemand dafür verantwortlich, den Penner
zu stoppen. Und daher blieb es dabei, dass die Passanten glotzten, panisch zur
Seite sprangen oder überhaupt keinerlei Notiz nahmen und niemand eingriff.
    Warmer Wind umflutete Gipsy
und spielte eine rauschende Melodie in seinen Ohren, während er so schnell ihn
seine Beine trugen, lief. Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihm, dass
alles hervorragend geklappt hatte. Der Abstand zwischen ihm und den Dicken war
groß genug, dass er es unbemerkt zum Unterschlupf schaffen würde. Erst einmal
dort, konnte ihn niemand mehr finden, niemand der nicht eingeweiht war, würde
dort hingelangen. An der rechten Wienzeile lief er links und dann dort hin zurück,
wo er hergekommen war.
    Nur wenige Minuten später stieg
Gipsy eine aus Stahlbeton gegossene, enge Wendeltreppe hinab, die ins Dunkel
führte. Die kühle Luft war eine Wohltat für seinen Körper und hinterließ
angenehmes Prickeln auf seiner Haut. Undurchdringliche Schwärze breitete sich
vor seinen Augen aus, aber er kannte den Weg ohnehin in und auswendig. Im
Gegenteil, Blind war es sogar einfacher, es schärfte die verbleibenden Sinne.
Am Fuß der Treppe griff er sicher an einen kalt-feuchten Handlauf, mit dessen
Hilfe er sich vorantastete. Lack splitterte vom Geländer ab, als er seine Hand
daran entlang laufen ließ. Bis auf ein gelegentliches Tropfen von der Decke war
nichts zu hören. Je tiefer er in die Finsternis hinabstieg, desto intensiver
nahm er einen schalen modrigen Geruch wahr, wie in einem Keller mit feuchten,
schimmligen Wänden. Nur schleppend verlangsamte sich sein Puls. Angestrengt
versuchte er jegliche Geräusche wahrzunehmen, die sein Verfolger zweifelsohne
hier machen würde, aber außer dem vehementen Schlagen seines Herzens drang
nichts an seine Ohren.
    Als er letztendlich an
seinem Ziel angelangt war, tastete er sich an der rauen Wand entlang, bis er zu
einem klapprigen Tisch gelangte. Zielsicher griff er nach einer darauf
befindlichen Kerze und entzündete sie. In Sekundenschnelle wurde der winzige
Raum in schummriges Licht getaucht. Die Flamme warf tänzelnde Schatten an die
fensterlosen, aus bloßen Ziegeln gemauerten Wände, die den Raum begrenzten. Das
Gewölbe über ihm war von Rissen durchzogen und unzählige Wurzeln hingen aus den
mörtellosen Spalten, die einst das Ziegelwerk zusammengehalten hatten. Eine
massive, gusseiserne Tür, die Gipsy zuvor verschlossen hatte, markierte den einzigen
Weg in und aus dem Raum.
    Gierig kauerte er in der
Mitte des Raumes auf bloßer Erde und begutachtete den Koffer von allen Seiten.
Er sah teuer aus, sehr teuer. Vorsichtig bückte er sich hinunter und atmete den
Geruch von echtem Leder tief ein. Er nahm den Koffer hoch, führte ihn zu seinem
Ohr und schüttelte ihn vorsichtig.
    „Gut gefüllt“, flüsterte er sich
selbst zu, während er die Hände aneinander rieb.
    In seinen Gedanken malte er
sich aus, was er wohl in dem Koffer finden würde. Geld, Schmuck, Kreditkarten,
seine Fantasien kannten dabei keine Grenzen. Er ließ sanft seine nikotinverfärbten
Finger über das weiche Leder gleiten, dann stellte er den Aktenkoffer aufrecht
auf den Boden und inspizierte die beiden Schlösser. Zum Öffnen war ein Code
notwendig, der an jeweils drei mechanischen Rädchen,
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