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Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind
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Gedanken nicht ertragen, dass sie ihn selbst wiederbeleben müsste.
    »Kommt sofort, Dr. Arness!«, erwiderte die Person am Telefon knapp. »Und ich werde unser Team alarmieren.«
    Der Junge, der immer schwächere Geräusche von sich gab, während er um jeden Atemzug rang, hob seinen Kopf, der auf ihren Oberschenkeln lag. »Gib ihm einen Kuss, Mami. Gib ihm einen Kuss und mach alles wieder heile«, wimmerte er mit einem schwachen Stimmchen, das sie kaum hören konnte.
    »Ach, Tommy, sei tapfer. Mami wird dir bald helfen.«
    »Hilf mir jetzt, Mami.«
    Sie hielt ihre Tränen zurück, entschlossen, die Kontrolle zu behalten und ihn nicht noch mehr zu ängstigen. Dennoch versetzte ihre eigene Hilflosigkeit sie in Agonie. Und wie um sie noch mehr zu quälen, fuhren sie an den dunklen Überbleibseln des einzigen Ortes auf dieser Seite der Insel vorbei, der ihn früher vielleicht hätte retten können. Ihr örtliches Krankenhaus war im vorigen Jahr im Rahmen von Sparmaßnahmen geschlossen worden.
    Wann immer sie konnte, nahm sie eine Hand vom Steuer und streichelte seinen Kopf. Das hatte er am liebsten – lass mich wenigstens das für ihn tun, betete sie. Aber dieser Abschnitt der Straße wand sich wie eine Schlange in einer Reihe von Serpentinen durch die Berge der Koolau Range, die Kailua von Honolulu trennte. Sie brauchte beide Hände am Steuer, um den Wagen in immer neue Kurven zu zwingen, und sobald er nicht mehr ihre Berührung spürte, wurde er unruhig.
    Als sie den Tunnel verließ, der die Hälfte der Strecke markierte, sah sie durch eine Lücke in den Bäumen das rote Blinklicht des Rettungswagens, der weit unten auf dem Highway näher kam. Dahinter, in der Ferne, leuchteten die goldenen Lichter von Honolulu wie ein Wasserfall von den dunklen Hügeln bis hinunter zum Strand von Waikiki – sie hatte sie Tommy einmal als Feenstaub in einem Zauberreich beschrieben, als er mit weiten Augen staunend auf diesen Anblick starrte. Sie erinnerte sich, wie er vor Vergnügen gequietscht hatte.
    »Ich sehe die Ambulanz, Tommy, und die funkelnde Stadt. Jetzt hilft Mami dir zu atmen –« Sie brach ab, denn sie spürte, wie er auf ihrem Schoß zu zittern begann. Er würde gleich zusammenbrechen.
    »Oh Gott, nein! Nein! Nein!«
    Der Rettungswagen schien noch mehrere Minuten entfernt zu sein. Tommys Leben würde innerhalb von Sekunden zu Ende sein. Obwohl sie schon hundert Meilen pro Stunde fuhr, trat sie das Gaspedal jetzt bis zum Anschlag durch. Es gab hier weniger Kurven, aber während sie bergab raste, verlor sie mehrmals beinahe die Kontrolle über den Wagen, dessen Räder über Gras und Kies am Straßenrand schlitterten. Als sie die Entfernung zwischen sich und den entgegenkommenden Scheinwerfern halbiert hatte, bremste sie ab, kam ins Rutschen und schließlich quer über der Mittellinie zum Stehen. Sie zog Tommy an sich, kämpfte sich aus dem Wagen und blieb mit dem zuckenden Körper auf den Armen im Licht der Scheinwerfer stehen. Sie sah, wie er blau anlief. Noch mehr schaumiges Blut floss zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er schien zu grunzen, aber sie wusste, dass es die Kraft der Zuckungen war, die jedes Mal ein bisschen mehr von der letzten Luft aus seiner Lunge presste, die ihm noch verblieben war.
    Sie kniete sich auf den Asphalt, Tommy immer noch auf ihrem Schoß, und versuchte, mit ihren Fingern seine Kiefer aufzudrücken. Sie wollten nicht nachgeben. Sie bedeckte seine Lippen mit ihrem Mund und versuchte, Luft hindurchzublasen, aber sie bildeten nur eine undurchdringliche Grimasse. Sie versuchte sogar eine Beatmung durch die Nase, aber die Luft kam nicht bis in seine Lunge. Seine Zunge musste in den Hals gerutscht sein und den Luftweg blockieren. Der Klang der Sirene wurde lauter, wie das Klagen einer schottischen Todesfee.
    »Tommy! Tommy!«, schrie sie durch den Lärm, ohne etwas tun zu können. Sie fühlte, wie der Puls an seinem Hals praktisch auf null sank.
    Das rhythmische Zucken ließ nach, während seine Arme und Beine noch immer wackelten, als ob ihn jemand schüttelte, allerdings nur noch alle zwei Sekunden. Das Fahrzeug kam angebraust, gerade als sie fühlte, wie er erschlaffte.
    Einen Augenblick später hatten die Sanitäter ihn auf eine Liege gelegt und in den Rettungswagen geschoben. Benommen kauerte sie sich über sein kostbares, geliebtes Gesicht und zwang sich, ihren Beruf auszuüben – sie öffnete die Luftwege mit einem pädiatrischen Laryngoskop, saugte das schaumige Blut
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