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Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind
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effektiv wie immer waren, existierte seine Kompetenz im Umgang mit Menschen praktisch nicht mehr. »Legt den Myokardinfarkt, der noch im Schockraum ist, an die Spitze der Schlange!«, rief er ihnen hinterher, laut genug, um durch den Lärm, der durch die Überfüllung der Abteilung hervorgerufen wurde, noch gehört zu werden.
    Er griff nach dem nächsten Telefonhörer und wählte die Nummer der Pflegestation in der Kardiologie. In voller Eile kamen gleich darauf zwei Schwestern aus dem Schockraum, die eine Krankenliege schoben, auf der eine verängstigt blickende ältere Frau lag. Sie war an eine Armada tragbarer Monitore, intravenöser Infusionsschläuche und eine Sauerstoffflasche angeschlossen. Er hatte es also immerhin durch recht nachdrückliches Drängen geschafft, dass der Dienst habende Kardiologe der Frau oben ein Bett gab, wo sie ihren Herzanfall angemessen behandeln konnten. Jahrelange Kosteneinsparungen hatten solche Gefechte ebenfalls zu einer seiner ›Routineaufgaben‹ werden lassen, aber diesmal war er ausgelaugt und verschwitzt aus der Diskussion herausgekommen.
    Ein leises Protestgemurmel erhob sich bei denen, die auch auf ein Bett warteten, als die Schwestern die Frau an ihrem Konvoi aus Krankentragen vorbeischoben und an der Spitze abstellten. »Gott, ist das heiß hier!«, beschwerte er sich mit überlauter Stimme, ohne jemanden besonders anzusprechen, und kritzelte dabei weiter seine medizinischen Notizen auf ihr Krankenblatt. »Könnte noch mal jemand die Haustechnik anrufen und ihnen sagen, dass sie die verdammte Heizung runterdrehen sollen? Es ist einfach zu heiß zum Arbeiten!«
    Einer der Angestellten, der bereits einen Pullover trug, sah ihn verwundert an. Die herzkranke Dame verzog missbilligend ihr Gesicht. Und obwohl es ihr so schlecht ging, zog sie die Decke bis zum Hals und murmelte laut genug, dass es jeder in der Station hören konnte: »Ich bin froh, wenn ich aus diesem Zoo raus bin, bevor ich mich zu Tode friere.«
    Die Sanitäter aus dem Krankenwagen kamen mit einem hoch gewachsenen Jugendlichen hereingerauscht, der blaue Lippen, ein graues Gesicht und derartige Atemnot hatte, dass sich unter seinem Hemd jedes Mal, wenn er atmete, die Muskeln zwischen den Rippen zusammenzogen. Obwohl sie ihm Sauerstoff gegeben hatten, versuchte er ständig, die Maske abzustreifen, rollte in Panik mit den Augen und warf den Kopf hin und her, wie es wohl ein Mensch tun würde, der in einem Raum ohne Luft gefangen ist und versucht, den letzten Rest Sauerstoff einzusaugen.
    Während Steele hinter der Liege zwischen den Reihen von Patienten längs des Ganges durchging, testete er rasch seine Assistenzärztin. »Was müssen Sie hier jetzt als Erstes tun?«, fragte er.
    »Albuterol, als Aerosol, um seine Bronchien zu erweitern?«, erwiderte sie schüchtern.
    »Nein! Jedenfalls nicht gleich. Die Bronchien dieses Jungen sind so fest verkrampft, dass er keine Luft einatmen kann, geschweige denn ein Medikament. Was tun Sie dagegen?«
    »Intravenöse Steroide?«, fragte sie hoffnungsvoll.
    »Wiederum später. Jetzt werden Sie ihn intubieren, bevor er vor Ihrer Nase einen Atemstillstand kriegt.«
    Sie errötete vom Kragen ihres weißen Arztkittels bis über beide Ohren. »Es tut mir Leid, Doktor Steele, eigentlich wusste ich das. Es ist nur, dass Sie mich nervös machen –«
    »Wissen parat zu haben, Doktor, ist in diesem Fall das beste und einzige Gegengift gegen Nervosität«, schnappte er. Und mit einer Geste auf den Jungen fügte er hinzu: »Und sich dafür zu entschuldigen, dass Sie dieses Wissen nicht haben, wird dem hier auch nicht gerade helfen!«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Scheiße, dachte er, was bin ich nur für ein Arschloch geworden. Er war nicht immer so ungeduldig und sarkastisch gewesen, wenn er unterrichtete. Die Frau, die beinahe vor ihm in Tränen auszubrechen drohte, erschien ihm jung genug, um seine Tochter zu sein, und bis jetzt hatte sie sich auf ihrem Turnus durch die Abteilungen nicht besser oder schlechter geschlagen als die tausend anderen Jungärzte, die er im Laufe der Jahre durch die Klippen der Notaufnahme gelotst hatte. Mit einem plötzlichen Gefühl des Verlustes erinnerte er sich an die ungestümen Tage, als er es buchstäblich geliebt hatte, sie unter seine Fittiche zu nehmen und ihr Selbstvertrauen aufzubauen. Sie hatten ihn mehrmals zum Lehrer des Jahres gewählt, bevor er die Freude an der Aufgabe verloren hatte.
    Jetzt ließ ihn die Bezeichnung
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