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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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in der Dunkelheit. Als sie uns sah, fragte sie Julia, ob sie ihre Tochter gesehen habe. Sie schien in Sorge und fragte mich, wie spät es sei.
    »Kurz nach eins, Señora.«
    »Kurz nach eins! Das erste Mal, dass mir das Mädchen das antut.«
    »Wie alt ist sie denn?«
    »Fünfzehn.«
    »Ist doch okay. Da kann sie schon in die Diskothek gehen und erst morgens wiederkommen.«
    »Die Diskotheken sind alle zu. Die ganze Stadt hat keinen Strom. Oh Gott, ich will ja nichts Böses denken!«
    Die Frau redete weiter mit Julia. Sie kannten sich. Julia fragte erstaunt:
    »Ist Mileidis wirklich schon fünfzehn?«
    »Weißt du noch, als sie klein war? Ihren Vater bin ich endlich losgeworden, der wurde immer verkommener. Wenn er nicht im Knast saß, dann war er hier und verprügelte mich dauernd. Völlig grundlos.«
    »Hast du dich von ihm getrennt …?«
    »Nein. Sie haben ihm zwanzig Jahre aufgebrummt, wegen wiederholten Betrugs. Und ich habe mich von ihm losgesagt. Soll er doch im Knast verschimmeln. Das hat er davon, dass er ein solches Arschloch ist. Sieh mal, ich hab ja immer noch die Narben von der letzten Tracht Prügel, die er mir verpasst hat.«
    »Er war immer schon eine verrückte Type.«
    »Ja, Julia, er hat einfach nie nachgedacht. Und wenn das Mädchen nach ihm schlägt … Ich mag gar nicht dran denken.«
    »Da wirst du ganz schön was durchmachen.«
    Sie trafen sich fast nie, doch trotzdem klatschten sie zusammen. Ich ging voraus, zum Häuschen des Busfahrers, und klopfte an die Tür. Niemand antwortete. Ich klopfte weiter mit den Knöcheln. Der Typ antwortete mit schläfriger Stimme:
    »Ich komm ja schon, ich komm ja schon.«
    Zehn Minuten vergingen, aber der Typ kam nicht raus. Ich hielt mein Ohr an die Tür. Nichts zu hören. Ich dachte, sie wären wieder eingeschlafen, und klopfte noch einmal fest an die Tür. Jetzt antwortete die Frau. Sie hörte sich wütend an:
    »Verdammt. Gebt endlich Ruhe und hört auf zu nerven. Ist ja gleich so weit!«
    Doch sie kamen nicht raus. Ich hielt wieder das Ohr an die Tür und hörte sie keuchen und seufzen. Das Bett quietschte. Sie waren fast fertig, ein schneller Zehn-Minuten-Fick. Die Frauen sind sehr klug: Bloß den Typen nicht mit der Lust zu vögeln auf die Straße lassen. Die Milch bleibt zu Hause.
    Ein paar Minuten später kam der Typ ganz ernst heraus. Er war ein wichtiger Mann im Viertel. Die anderen gingen alle zu Fuß oder fuhren Fahrrad. Er sagte nur »Morgen«, kletterte ins Führerhaus, ließ den Motor anspringen und machte uns die Tür auf. Julia und ich stiegen ein und machten es uns bequem. Die Fahrt war lang. Ich fragte den Fahrer:
    »Wann sind wir denn in Havanna?«
    »Das kommt drauf an.«
    »Worauf?«
    »Na, denk mal nach … Kann man nie wissen.«
    »Was kostet’s denn?«
    »Zwanzig Pesos pro Kopf.«
    Ich kramte vierzig Pesos raus und gab sie ihm. Er nahm sie, ohne ein Wort zu sagen, und steckte sie ein. Ich setzte mich wieder hin. Julia hatte sich schon ausgestreckt und schlief mit offenem Mund. Ich dachte: »Verdammt, was für ein Glück!«
    Die ganze Fahrt über tat ich kein Auge zu. Ich kann beim Reisen nie schlafen, schon gar nicht in dem Bus, der mir eher wie ein Eselskarren vorkam. Der Fahrer nahm alles mit, was an der Autobahn stand. Irgendwann kam ich auf neunzig dicht gedrängte Personen. Kein einziger Kubikzentimeter war mehr frei. Ich rechnete nach. Neunzig mal zwanzig. Zwei mal null null. Zwei mal neun achtzehn. Tausendachthundert Pesos. Plus die, die kurze Strecken von Dorf zu Dorf fuhren und zehn Pesos zahlten, kam das gut und gerne auf zweitausendzweihundert Pesos. Das Unternehmen verlangt von ihm nur, dass er das Geld für die sitzenden Fahrgäste abliefert. Ich zählte. Vierundzwanzig Sitze mal zwanzig. Zweihundertachtzig Pesos. Zweitausendzweihundert minus zweihundertachtzig macht tausendneunhundertzwanzig. Nicht schlecht. Tausendneunhundertzwanzig Pesos Nettogewinn. Ja, da ist er ein wichtiger Mann im Viertel. Die Polizei durchsuchte den Bus zweimal. Das erste Mal mussten wir alle aussteigen. Sie untersuchten sorgfältig jedes Gepäckstück und nahmen einen Typen mit, weil er eine Tüte mit vier Kilo Kaffeebohnen dabeihatte. Das zweite Mal, ein Stückchen weiter, fanden sie nichts Verbotenes. Ich schaute mir die Landschaft an. Sie ist sehr schön. Der Sonnenaufgang und so auf der weiten Savanne. Um zehn Uhr morgens kamen wir in der Hauptstadt von unserem kleinen Land an. Na endlich. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Mir
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