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Der unersättliche Spinnenmann

Der unersättliche Spinnenmann

Titel: Der unersättliche Spinnenmann
Autoren: Pedro Juan Gutierrez
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war richtig schwindlig vor Übermüdung. Wir stiegen in einen anderen Bus und fuhren nach Hause.
    Als wir ankamen, öffnete ich sämtliche Türen und Fenster, um die Wohnung zu lüften. Es war unheimlich heiß und drückend. Ich bat Julia, sie solle ein bisschen Ruhe halten.
    »Ich muss erst mal sauber machen! Das ist doch entsetzlich hier!«
    »Nein, Julia, bitte nicht. Mach jetzt nicht sauber. Lass mich ein Weilchen schlafen, sonst platzt mir der Kopf.«
    Ich warf mich aufs Bett und zog mir einen Strumpf über die Augen. Alles wurde dunkel, und ich entspannte mich. Das Telefon klingelte. Julia nahm ab und rief mich:
    »Es ist für dich.«
    »Wer ist denn dran?«
    »Keine Ahnung. Eine Frau.«
    Ich nahm den Hörer. Es war eine Frau, die so fröhlich klang, als wolle sie flirten.
    »Ja, bitte?«
    »Oh, das klingt aber müde. Hast du geschlafen?«
    »Ja.«
    »Um die Zeit?«
    »Wer ist denn da?«
    »Kennst du mich denn nicht mehr?«
    »Nein.«
    »Ach, mein Schatz, wie wortkarg du bist. Was ist los mit dir? Hast du Stress mit Julia?«
    »Ich bin müde. Wer ist denn da?«
    »Martica, mein Schatz, wie schnell du einen vergisst!«
    »Welche Martica?«
    »Martica Sugnol.«
    »Ah, ja, verdammt, du kommst und gehst aber auch wie ein Gespenst.«
    »Ich war ein Jahr und vier Monate auf dem Schiff unterwegs. Bin gerade erst angekommen.«
    »Und wann fährst du wieder?«
    »Sie müssen das Schiff reparieren, das heißt, ich werde ein paar Monate hier sein, bevor’s wieder losgeht. Komm zu mir, ich habe Lust, dich zu sehen.«
    »Ich kann nicht.«
    »Julia hält dich wohl an der kurzen Leine.«
    »Darum geht’s nicht. Ich bin einfach nur müde.«
    »Lass dich nicht so lange bitten, Süßer. Komm schon her. Ich habe große Lust, dich zu sehen … nackt und mit einem ordentlichen Steifen, hahaha.«
    »Martica, ich habe die ganze letzte Nacht nicht geschlafen, und mir tut der Kopf weh.«
    »Was war denn los? Eine Orgie oder eine Totenwache?«
    »Keins von beiden. Ich rufe dich morgen an, und dann sehen wir uns.«
    »Okay. Du hörst dich heute ein wenig schwermütig an. Ich hab das Gefühl, das Alter hat dich erwischt.«
    »Kann sein. Und was hat dich erwischt? Die Jugend?«
    »Na, wenn wir uns treffen, wirst du schon sehen. Ich mache Aerobic und hebe Gewichte. Wenn du mich siehst, läuft dir das Wasser im Mund zusammen.«
    »Du bist nicht mehr dick und breitarschig?«
    »Breitarschig wohl, aber dick überhaupt nicht mehr. Das nennt man Unterentwicklung. Ich mach jetzt auf modern und europäisch: Obst und Gemüse, Gymnastik und Hautcreme, hahaha. Ich sehe aus wie eine Afrikanerin, eine von diesen reichen, die mit Generälen verheiratet sind, hahaha.«
    »Na, das freut mich ja.«
    »Wann sehen wir uns also?«
    »Ich ruf dich morgen an.«
    »Bestimmt?«
    »Bestimmt.«
    »Okay, ich schick dir einen Kuss. Ciao.«
    »Ciao.«
    Martica ist sechsundvierzig und hat die Energie eines zwölfjährigen Mädchens. Sie arbeitet als Zimmermädchen auf einem Containerschiff. Wir kennen uns schon viele Jahre und haben ab und zu pragmatischen Sex miteinander. Sie erzählt mir ihre Geschichten vom Schiff. Einmal fiel mir ein, ihr zu sagen, dass ihr Leben an Bord Stoff für einen erstklassigen erotischen Roman abgebe. Seither lässt sie nicht locker. Sie will Hauptfigur sein. Sie ist so was wie die Feldflasche der durstigen Matrosen auf hoher See. Ich legte auf, fiel wie ein Stein ins Bett und schlief sofort ein.
    Als ich aufwachte, hörte ich Julia mit der Nachbarin sprechen, einer sehr alten Frau. Sie lebt allein und hat furchtbare Angst, weil ein Wirbelsturm naht. Ich höre nur Wortfetzen. Still liege ich da und horche. Sie reden sehr leise, um mich nicht aufzuwecken. Ich kann nichts verstehen. Erhebe mich. Oh, mir tut wieder das linke Knie weh. Ich gehe in die Küche und spüle eine Aspirin mit einem Glas Wasser runter. Die löchrigen Füllungen in zweien meiner Backenzähne schmerzen.
    Das Knie, die Backenzähne, das Virus letzten Monat, mein Sperma ist spärlich, übersäuert und nur zu sechzig Prozent überlebensfähig. Ich musste das Rauchen ganz aufgeben, weil ich kaum noch Luft bekam. Die Falten im Gesicht nehmen zu. Fünfzig Jahre halt. Was wird mit sechzig sein? Komm ich überhaupt so weit? Ich mache Kaffee und denke ein ums andre Mal: ›Du musst dich nehmen, wie du bist, und dankbar sein. Du musst dich nehmen, wie du bist, und dankbar sein. Du musst dich nehmen, wie du bist, und dankbar sein.‹ Ich schlucke noch eine Aspirin zum Kaffee und
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