Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago
Autoren: Cees Nooteboom
Vom Netzwerk:
unsichtbar sind. Die vierte Person ist der Kommandeur des Ermordeten, Generalleutnant Pascual Galmes. Er hat ein altes Indianergesicht, die Jacke ausgezogen und schaut düster drein. Es gibt nicht den geringsten Grund, weshalb er nicht der nächste sein sollte.
    Armes Spanien, kann man da sagen und ein düsteres Referat über ein Land halten, das mit sich selbst nie einig werden kann, da es nie eine Einheit geworden ist. »Wir hätten Franco behalten sollen«, sagen die Rechten, »da gab’s diese Schweinerei nicht.«
    »Wir werden nur als Arbeitskräfte für das reiche Spanien benutzt«, sagen die Andalusier, »wir sind Gastarbeiter im eigenen Land.«
    »Wir haben unsere ganzen Dörfer und Landschaften und Strändevom Tourismus verpesten lassen«, sagen die Bewohner der Costa del Sol, »und wo geht das Geld hin?«
    »Wir in Katalonien verdienen das Geld für ganz Spanien – allein ginge es uns viel besser«, sagen die Katalanen (und die Basken). Und das sind noch längst nicht alle Risse und Gräben. Wer die Geschichte Spaniens kennt, weiß, daß es immer so war, außer wenn eine große nationale Bewegung, ein großes Abenteuer wie die Reconquista – die Rückeroberung Südspaniens von den Mauren – oder die Zeit des Golds und der Entdeckungsreisen ganz »Spanien« erfaßt hatte. Doch nach einem solchen Begeisterungstaumel zerfällt das Land wieder in all seine Eigenheiten und Eigensinnigkeiten. Kelten, Iberer, Goten, Juden, Mauren, Römer, alle haben ihr Blut in den großen Tiegel gegossen, und das Merkwürdigste ist vielleicht sogar, daß es hin und wieder gelang, all diese nationalistischen Regionen mit ihren so gänzlich verschiedenen Klimata, Landschaften, Charakteren und Interessen von jenem einen Punkt in der dürren zentralen Hochebene aus zu regieren: Madrid. Trocken und arm, zehn Prozent des Bodens schieres Gestein, fünfunddreißig Prozent kaum nutzbar, fünfundvierzig Prozent halbwegs fruchtbar, zehn Prozent reich – vom restlichen Europa durch die Berliner Mauer der Pyrenäen getrennt, isoliert, fern und durch die endlose Hochfläche in der Mitte in sich selbst gespalten. Verbindungen schwierig, Charaktere unterschiedlich, die Liebe zum Eigenen, Nahen, der Stadt, der Region, der eigenen Sprache immer größer als die Idee der Gemeinsamkeit. So ist es heute, so war es früher. Einer der Faktoren, die trotz aller Verschiedenartigkeit zur Einheit beigetragen haben, war die Heirat Ferdinands und Isabellas im Jahr 1469. Dazu hätte Verdi natürlich eine Oper komponieren müssen, oder jemand hätte es für die breiteste Breitwand verfilmen müssen, denn die Landschaften, in denen sich diese leidenschaftliche und zugleich eigennützige Geschichte abspielte, sehen noch genauso aus wie damals. Isabella war achtzehn Jahre alt und wurde von ihrem Bruder Heinrich IV . von Kastilien bedroht. Sie war die Erbin des kastilischen Throns, aber ihre große Rivalin war die – möglicherweiseuneheliche – Tochter ihres Bruders, Juana la Beltraneja. Isabella war jung, wußte aber genau, was sie wollte – und sie hatte sich auf die Heirat mit Ferdinand, König von Aragonien und Sizilien, versteift. Verglichen mit Kastilien waren dies kleine, arme Gebiete, doch die Vereinigung der beiden Kronen wäre ein erster Schritt zur Einheit Spaniens. Der Erzbischof von Toledo – das waren noch Zeiten – stand auf ihrer Seite und holte sie mit einer kleinen Reiterschar aus ihrem Haus in Madrigal ab und brachte sie nach Valladolid. Für Ferdinand war es noch schwieriger. Er brach mit ein paar Vertrauten in Zaragoza auf und reiste, als Kaufmann verkleidet, durch ebendie Gegend, durch die ich jetzt fahre. In El Burgo de Osma – heute ein ausgestorbener Fleck, in dem eine viel zu große Kathedrale voller Kunstschätze ohnmächtig die Erinnerung an frühere Größe bewahrt – wurde er fast ermordet, aber er schaffte es, vier Tage vor dem vereinbarten Zeitpunkt, an dem sie heiraten wollten, in Valladolid einzutreffen. Die beiden hatten sich noch nie gesehen. Wo ist Verdis Arie und das Duett, das dann unabänderlich darauf hätte folgen müssen? Wo ist die Kamera, die in dem Augenblick, in dem die Achtzehnjährige halb verborgen hinter der Balustrade oben an der Treppe steht, langsam zu dem Kaufmann aus Aragonien hinüberschwenkt? Die beiden waren so arm, daß sie sich überall Geld leihen mußten. Weil sie, wie sich das bei Königshäusern gehört, doch etwas zu nah miteinander verwandt waren, gab es eine päpstliche Dispensbulle,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher