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Der Umweg nach Santiago

Der Umweg nach Santiago

Titel: Der Umweg nach Santiago
Autoren: Cees Nooteboom
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die sich später als unecht erwies, eine saubere Fälschung, fabriziert von Ferdinand selbst, seinem Vater, dem König von Aragonien, und dem Erzbischof von Toledo. Wie der Entschluß zu heiraten eigentlich zustande kam, ist nicht klar – mancherlei Gruppen und Interessen, auch außerhalb Spaniens, waren dabei im Spiel. Der Sohn des französischen Königs bemühte sich ebenfalls um Isabella, was eine französisch-kastilische Allianz bedeutet hätte, der noch nähere und nicht mehr ganz junge König von Portugal hegte die gleichen Absichten, aber auf der anderen Seite gab es eine starke aragonesische Fraktion am kastilischen Hof (prachtvoll für die Chorszenen), und angesehene jüdischeFamilien in beiden Ländern waren für Ferdinand, weil sie hofften, er, der durch seine Mutter jüdisches Blut hatte, werde ihre Position stärken. Intrigen, Bestechungen, Eifersucht, Berechnung, alles spielte mit, aber Isabella wußte noch immer, was sie wollte, und Ferdinand wurde letzten Endes schlichtweg dazu engagiert, den Interessen Kastiliens zu dienen. Er mußte in Kastilien leben und sollte den zweiten, nicht den ersten Platz einnehmen. Im Dschungel der spanischen Politik – schon lange zuvor hatten sich in Katalonien, Valencia und Aragonien verschiedene demokratische Institutionen entwickelt, die, wie die Justicia , die Cortes , die Diputació und die Generalitat (schon damals!), die Macht der Krone scharf im Auge behielten – war die Wahl Ferdinands eine gute. In Aragonien hatten die Könige konstitutionelle Verpflichtungen, es gab eine recht gute Zusammenarbeit zwischen dem Bürgertum und der Krone. In Kastilien dagegen war das politische Chaos komplett – der Machtkampf spielte sich dort zwischen Krone und Adel ab, dessen Angehörige teilweise so reich waren (wie auch heute noch), daß sie, wie die berühmte Leonor de Albuquerque ( la rica hembra , die reiche Frau) von Aragonien nach Portugal durch ganz Kastilien reisen konnte, ohne einmal den Fuß auf fremden Grund und Boden zu setzen. Fragmente, Konflikte, Namen, und das alles wirkt im heutigen Spanien weiter – dieselben Institutionen, wie die Generalitat von Cataluña, gibt es noch immer, verschiedene Gebiete beanspruchen ihre autonomía , der Adel im Süden besitzt noch immer provinzgroße Ländereien. In Spanien braucht die Geschichte sich nicht zu wiederholen, sie kann einfach dieselbe bleiben. Schon lange vor dem unsrigen gab es einen Herzog von Alba 1 , und den gibt es noch heute.
    Manchmal besteht meine Erinnerung aus Ansichtskarten. Wenn mich jemand eines Tages – in zehn Jahren oder in einem anderen Land oder nachts im Traum – fragen sollte: »Tarazona, was war das?«, dann sähe ich eine Vision von hitzegetränktem Ocker vor mir, von sandfarbenem, sonnengeplagtem Backstein. Durst, leere Straßen, Fensterläden, hinter denen Menschen schlafen,das vergebliche Abklappern verschiedener Bars nach Mineralwasser, Karren mit Mauleseln. Erst die beiden auf bewahrten Ansichtskarten bringen die Erinnerung an jene merkwürdige Kathedrale zurück, deren Turm die Stadt minarettartig überragt. Mudejarstil nennt man das, arabische Elemente in christlichen Bauten, geometrische Figuren, die sich in den verschiedensten Varianten überlagern. Auch wieder nichts für Puristen: Komische korinthische Säulen auf idiotisch hohen Sockeln als gemeine Fangfrage für ein Kunstgeschichteexamen an ein romanisches Portal geklebt. Ich will hineingehen, aber selbst Gott schläft in Spanien mittags nach dem Essen, also döse ich noch eine Weile im kühlen Vorhof vor mich hin, Auge in Auge mit den allegorischen Gestalten, die mich nicht sehen.
    Graue, braune, purpurne Landschaften, der große Malkasten der Elementarfarben. Gegen Abend erreiche ich Soria. Ich habe ein Zimmer in dem Parador gefunden, der, an die Hügel geschmiegt, auf das Tal des Duero blickt, der später, weiter nach Westen zu, Douro heißen wird. Das matte Tageslicht ist bläulich, und bereits halb verwischt klebt die Landschaft noch an den Scheiben, eine Riesenmotte auf der Suche nach Licht. In diesem Parador war ich ein Jahr zuvor, als der Jahrestag der ersten Menschen auf dem Mond gefeiert wurde, der auch schon wieder zehn Jahre zurückliegt. Auch damals war ich in Spanien, in irgendeiner Kneipe, in der Fischer beim Kartenspiel saßen. Ich war der einzige, der schaute. Diesmal schaute jeder – es war schließlich nicht echt – mit der gleichen Aufmerksamkeit auf die Nescafé-Werbung wie auf Armstrong, der auf dem
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