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Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)

Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)

Titel: Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)
Autoren: Ilija Trojanow
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vielerorts als profitable Unternehmen geführt werden und sich Richter gelegentlich mit großzügigen Verurteilungen ein Zubrot verdienen. Zwei ehrenwerte Richter aus Pennsylvania haben über die Jahre 2,6 Millionen Dollar von den Betreibern von Jugendstrafanstalten erhalten, um bei Bagatellfällen schwere Strafen auszusprechen (ein Schüler wurde ins Gefängnis geworfen, weil er sich über seinen Rektor auf Myspace lustig gemacht hatte) – sie haben den Begriff Human capital zu wörtlich genommen. Und im Bundesstaat Texas wurde den zum Tode Verurteilten vor Kurzem die Henkersmahlzeit gestrichen. Im Umgang mit Überflüssigen ist kein Platz für Sentimentalitäten.
    Die Nutzlosen und Entbehrlichen auf Freigang werden weder gesehen noch gehört. Die Überflüssigen sind nicht nur arm, sondern auch stimmlos und unsichtbar. Sie dienen zudem verlässlich als Feindbild; die Ressentiments gegen Langzeitarbeitslose haben Hochkonjunktur. Eine wachsende Mehrheit findet, dass sich diese Menschen auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen. 33 Prozent der Deutschen glauben gar, dass wir uns in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht mehr leisten können, allen Menschen gleiche Rechte zu garantieren, und offenbaren damit, dass sie ein zentrales Prinzip demokratischen Denkens nicht begriffen haben: Rechte sind grundsätzlich Versicherungen gegen Krisenzeiten. Wenn die Sonne scheint, braucht kein Bürger einen Schirm (außer jene mit Pigmentstörungen, aber man sollte Metaphern nicht zu sehr unter die Hautarztlupe nehmen). Derweil echauffieren sich die Massenmedien über die Sozialschmarotzer, die sich angeblich ihre komfortable Sozialhilfe vom Staat erschleichen.

Die Oligarchen sind unter uns
    Das Geheimnis der großen Vermögen, deren Entstehung unbekannt ist, ist irgendein Verbrechen, das man vergessen hat, weil es geschickt begangen wurde.
    Honoré de Balzac, Vater Goriot
    Wie schon einst Aristoteles scheinen viele Meinungsträger zu befürchten, die Demokratie sei eher vom Plebs bedroht als von den Oligarchen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht über wachsende Ungleichheit sowie über dubiose Methoden, sein Geld vor dem Staat zu verstecken, berichten – die Löcher in den Säckeln einerseits, die berstenden Safes andererseits. Die Bürger glauben Bescheid zu wissen: Wer viel Knete hat, bunkert diese auf Konten in Luxemburg, Liechtenstein, der Schweiz oder auf sogenannten Offshore-Accounts. Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland besitzen so gut wie nichts, das reichste Zehntel verfügt über 61 Prozent des Gesamtvermögens. Ein Prozent verfügt gar über ein Viertel aller Vermögenswerte. In Österreich klammert sich die unterste Hälfte an fünf Prozent des privaten Vermögens, während fünf Prozent der Haushalte knapp die Hälfte des Gesamtvermögens kontrollieren. Weltweit sieht es noch extremer aus: Zwei Prozent halten mehr als die Hälfte allen Vermögens. Im Jahre 2011 gab es weltweit 1210 Dollarmilliardäre mit einem kumulierten Vermögen höher als das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Und von der massenhaften Verelendung der letzten Jahre – die Krise hat 40 Prozent des Privatvermögens der Mittelklasse vernichtet – haben die Reichsten der Reichen profitiert. Mit dem Jahreseinkommen eines der zehn reichsten US-Amerikaner könnten alle 633000 Obdachlosen in den USA für ein Jahr würdevoll untergebracht werden (setzt man eine Miete von monatlich 558 Dollar an). Die zehn erfolgreichsten Hedgefonds-Manager rafften im Jahre 2012 10,1 Milliarden Dollar zusammen – mit diesem Geld könnte man 250000 Grundschullehrer oder 196000 Krankenschwestern einstellen. Wen das nicht schockiert, hat weder Herz noch Verstand.
    Ein Duktus der folgenlosen Empörung hat sich eingebürgert, in etwa so wie die Tiraden des gemeinen Bürgers über den Stau, dem er auf der Fahrt in den Feierabend ausgeliefert ist. Die öffentliche Debatte bleibt zahm, weil sie unter einem Tabu leidet. Wir diskutieren stets, in welchem Maß umverteilt werden soll (besonders beliebt die Debatte um den Höchststeuersatz), nicht aber, ob Demokratie mit Vermögenskonzentration überhaupt vereinbar ist. Wir streiten uns um kosmetische Operationen, statt eine grundsätzliche Heilung anzustreben. Das beginnt schon mit der Sprache. Die sehr Reichen heißen bei uns Superreiche, selten Oligarchen. Wir tun so, als hätten wir oligarchische Strukturen durch die parlamentarische Demokratie überwunden und verwenden das Wort nur, um im selben
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