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Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)

Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)

Titel: Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)
Autoren: Ilija Trojanow
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& window busted
    through the city streets we go
    idle as a CEO
    In der Sprache der Soziologen heißt die neue Klasse jener, die im Vorhof der eigenen Überflüssigkeit dahinvegetieren, das Prekariat (früher sprach man von Lumpenproletariat). Der Begriff stammt vom lateinischen precarius ab: »erbeten, erbettelt, aus Gnade erlangt (Gnadenbrot), auf Widerruf gewährt, unsicher, unbeständig, vorübergehend«. Damit bezeichnen Wissenschaftler und Journalisten nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern auch all jene, die unsicheren Arbeitsverhältnissen ausgeliefert sind, die Zeit- und Leiharbeiter, deren Zahl in unserer Gesellschaft rasant zunimmt. Sie alle sind Opfer einer umfassenden Umstrukturierung der Arbeitsmärkte zugunsten des Kapitals mit dem Ziel einer möglichst freien Verfügbarkeit von billigen und austauschbaren Arbeitskräften. Anstelle der einstigen Arbeitsplatzsicherheit, der langfristigen Treu-und-Glauben-Beziehung zwischen Arbeitgeber und -nehmer, ist die Kommodifizierung des Tätigen getreten, der nach Gutdünken des Managements und in Reaktion auf die Zwänge eines globalisierten Wettbewerbs ohne Rücksicht auf seine Bedürfnisse eingesetzt und nach getaner Schuldigkeit ohne Kosten und Folgen entsorgt werden kann. Bemerkenswerterweise haben die Sozialdemokraten diese systematische Demontage sozialstaatlicher Rechte und Sicherheiten vorangetrieben, indem sie ihren angestammten Wählern die angeblich notwendigen Opfer untergejubelt haben. Die traditionell linken parlamentarischen Parteien haben der Marktwirtschaft mit einer solchen Ausdauer gedient, dass sie ihre Identität fast völlig eingebüßt haben.
    Dieser wachsende »Bodensatz« der Gesellschaft – laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2013 muss jeder vierte Beschäftigte mit einem Niedriglohn auskommen – genießt kaum noch Arbeitsrechte. Die Gewerkschaften verlieren zunehmend an Einfluss, und Zeitarbeiter, diese gefallenen Arbeiter, können sich nicht organisieren, da sie – zur Flexibilität verdammt – von einer Arbeitsstelle zur nächsten wechseln und nie lange genug in einem Unternehmen verweilen, um sich zusammenzuschließen. Zudem sind sie als Lagerarbeiter, Hilfsarbeiter, Saisonarbeiter auch im Produktionsprozess marginalisiert. Sie haben wenig Aussicht auf Verbesserung ihrer Lage, denn eine kaum durchlässige Mauer trennt Zeitarbeiter von Festangestellten. Die Arbeitslosen hingegen verharren vor den Toren des Schlaraffenlands – laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit erhalten nur 34 von 1000 Hartz-IV-Empfängern jemals wieder einen sozialversicherten Arbeitsplatz.
    Wenn die Prekären um ihr Recht kämpfen, sind sie umgehend Repressionen ausgesetzt. Als im Frühjahr 2013 Hunderte von Erntehelfern aus Bangladesch, eingesetzt auf riesigen Erdbeerplantagen in Griechenland, die Zahlung des nicht gerade üppigen vereinbarten Tageslohns von 22 € einforderten, schossen die Vorarbeiter auf sie. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis wurden einige der Immigranten von der Polizei verhaftet und gleich abgeschoben. Die etwa 120000 Saisonarbeiter in Südspanien, in der Gegend um Almería, überwiegend Migranten aus Afrika und Osteuropa, sind ebenfalls Bürger dritter Klasse. Ihr Lohn wird willkürlich gekürzt oder wochenlang nicht ausbezahlt. Die Razzien der Behörden haben nur den Zweck, Illegale zu ergreifen und auszuweisen. Der internationale Kostendruck (die Tomaten schmecken nach nichts, kosten aber auch wenig) bedingt eine brutale Ausbeutung der spottbilligen Arbeitskraft, von der die Produzenten allerdings abhängig sind. Zynisch erscheint in diesem Zusammenhang die Verwendung des Etiketts »bio«: Pestizide dürfen nicht verwendet werden, denn diese könnten der Gesundheit der Kunden schaden, Lohnsklaven hingegen nach Belieben eingesetzt.

Ein Sprungbrett nach unten
    Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es verstößt gleich
    mehrfach gegen das Grundgesetz. Erstens gegen Artikel 1,
    weil es kein menschenwürdiges Leben ermöglicht, und
    zweitens gegen die freie Berufswahl wie auch gegen die
    freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil es Menschen zu
    Sklaven macht, indem es sie zur Annahme von Arbeit
    zwingt, die sie nicht ausüben wollen.
    Götz Werner, Begründer der Drogeriekette dm
    Es ist schwer, präzise Zahlen über das Anwachsen des Prekariats zu recherchieren, weil Arbeitsmarktzahlen und volkswirtschaftliche Statistiken just solche Erkenntnisse zu verschleiern suchen. Laut Erhebungen der Wissenschaftler Klaus
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