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Der Traurige Polizist

Titel: Der Traurige Polizist
Autoren: Deon Meyer
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lachten laut.
    »Sie ist zu dünn«, sagte Ferdy Ferreira wegwerfend, aber es tat ihr trotzdem weh.
    »Nein, sie ist sicher sehr beweglich …«
    |439| Plötzlich hatte sie es eilig. Sie lächelte müde, sagte, sie sollten den Rest des Abends genießen, sie würden sich beim Frühstück
     wiedersehen und dann verabschieden.
    Man sagte ihr ebenfalls gute Nacht. »Hände über der Decke«, rief Ferdy Ferreira noch, bevor sie zur Tür herausgegangen waren,
     und ein oder zwei lachten laut. Draußen schüttelte sie den Kopf. Der Kerl war schon eher … ungeschliffen.
    Sie spazierte durch die Geräusche der Nacht – Insekten, der Fluß, irgendwo bellte ein Hund, ein Laster fuhr dröhnend einen
     Berg hinauf. Die Stimmen hinter ihr verblaßten in der Ferne. Sie konzentrierte sich auf das, was vor ihr lag, sie hatte alles
     genau dort hingelegt, wo es sein sollte, spät am Nachmittag, während die anderen sich für die Diplomverleihung umzogen. Sie
     hatte ein paar ermutigende Worte gesprochen und die Diplome ausgeteilt. MacDonald hatte darauf bestanden, sie zum Dank zu
     küssen. Sie klatschten füreinander und redeten sinnloses Zeug. Dann das Foto: Carina Oberholzer hatte sie in einem Halbkreis
     aufgestellt und ein paar Fotos gemacht.
    Sie schloß ihre Schlafzimmertür auf. Das Nachtlicht brannte. Alles war genau so, wie es sein sollte. Sie schloß die Tür, lehnte
     sich dagegen, seufzte dankbar.
    Zuallererst drückte sie den Startknopf am Kassettenrecorder. Die Musik erfüllte das Zimmer. Sie beugte das rechte Knie, hob
     den Fuß hoch, zog den Schuh aus. Dann den anderen. Der Beginn eines Rituals. Sie stellte die Schuhe nebeneinander, genau gerade,
     auf den Boden ihres schmalen Schranks. Sie knöpfte ihre Bluse von oben her auf, betrachtete sich im schmalen Spiegel an der
     Innenseite der Schranktür. Sie wollte jetzt nicht wie sonst über sich nachdenken, sie |440| wollte nicht über die Bedeutung und Abfolge und alle anderen Teile des Entkleidungsprozesses sinnieren – selbst wenn es nur
     ein Spiel war, ein merkwürdiges, zynisches, schädliches Spiel, das sie fast jeden Abend mit sich spielte. Sie hängte die Bluse
     auf einen Bügel im Schrank, dann griff sie hinter sich und öffnete den Knopf an ihrem Rock, zog den Reißverschluß herunter.
     Nur je eine elegante Bewegung, um die Beine aus dem Kleidungsstück zu ziehen. Ihre Hände fuhren ziellos über den Stoff, um
     mögliche Fussel zu entfernen. Sie hängte ihn neben die Bluse.
    Sie trug Spitzenunterwäsche. Sie lauschte der Musik, während sie den Verschluß ihres BHs aufhakte, sie sah ihre kleinen Brüste
     im Spiegel, ihre weiße Haut. Sie lächelte unwillkürlich, denn ihre Entscheidung, sich heute nicht mit den Gedanken über Größe
     und Form zu plagen, war richtig gewesen. Die Musik war zu schön, ihre Stimmung zu gut.
    Der weiche Stoff des Nachthemdes glitt über ihren Kopf. Sie zupfte es über ihren fast jungenhaften Hüften zurecht und empfand
     den Stoff als angenehm auf ihrer Haut. Sie betrachtete noch einmal zufrieden die Ordnung in ihrem Schrank – am nächsten Morgen
     würde sie innerhalb weniger Minuten gepackt haben. Sie schaltete die Deckenlampe aus, legte die Kissen ans Kopfteil und glitt
     zwischen die Laken. Sie nahm die Biographie von dem kleinen Nachttisch und dachte nicht über ihr Unvermögen nach, Romane zu
     lesen, sondern machte es sich bequem und schlug das Buch auf.
    Dann las sie.
    Zweimal störte der Lärm der nächtlichen Party ihre Konzentration. Beim ersten Mal war es lautes Gelächter, das über die Süße
     der Arie hinwegdröhnte, und sie schüttelte verwundert den Kopf. Die Gruppe sollte es nicht übertreiben, dachte |441| sie, und dann konzentrierte sie sich wieder auf die Worte vor sich.
    Das zweite Mal war beunruhigender. In der Stille zwischen zwei Arien wurde ihr Gejohle zum Barometer ihrer Trunkenheit. Sie
     erkannte MacDonalds Stimme, vielleicht auch Coetzees. Ein paar von ihnen brüllten Schimpfwörter. Sie entschied sich dagegen,
     aufzustehen und sie zu verwarnen – schließlich handelte es sich um erwachsene Menschen. Ihr Blick suchte nach den Worten auf
     dem Papier vor ihr, aber die Frage, wie betrunken die Gruppe eigentlich war, sorgte sie noch eine Weile, bis sie sich wieder
     in dem Leben auf den Seiten verlor.
    Zuerst störte sie die Müdigkeit, dann gab sie sich ihr hin.
    Sie wartete, bis die Arie zu Ende ging, dann drückte sie den Stoppknopf. Sie schob ihr Lesezeichen bis zum Falz des Buches,
    
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