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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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in einer gigantischen Maschinerie, die langsam Gestalt angenommen hatte, ohne dass irgendjemand außer seinem gerissenen Erfinder und dessen engsten Vertrauten ahnte, worin sie bestehen würde.
    Allerdings hatte Roger, der sich als frisch ernannter Konsul von Boma auf Durchreise in Brüssel befunden und dort vom belgischen König zum Abendessen eingeladen worden war, ein tiefes Misstrauen gegen diesen stattlichen Mann mit der ordengeschmückten Uniform, dem wallenden Bart, der eindrucksvollen Nase und dem prophetischen Blick verspürt. Der prachtvolle Palast mit seinen dicken Teppichen, Kristalllüstern, ziselierten Spiegeln und orientalischen Figuren machte ihn schwindlig. Neben Königin Marie Henriette, ihrer Tochter Prinzessin Clementine und dem Prinzen Victor Napoléon war ein halbes Dutzend weiterer Gäste anwesend. Der König führte den gesamten Abend lang die Unterhaltung. Er sprach wie ein erleuchteter Prediger, und wenn er die Grausamkeiten der arabischen Sklavenhändler beschrieb, die von Sansibar aus aufbrachen, um auf »Jagd« zu gehen, erklangen in seiner rauen Stimme geradezu mystische Töne. Das christliche Europa habe die Pflicht, diesem Menschenhandel ein Ende zu bereiten. Und ebendies würde der Beitrag des kleinen Belgiens zur Zivilisation sein: diese gequälte Menschheit von derartigem Grauen zu erlösen. Die eleganten Damen gähnten, Prinz Napoléon flüsterte seiner Tischdame Komplimente zu, während das Orchester ein Konzert von Haydn spielte, dem niemand Beachtung schenkte.
    Am nächsten Morgen bestellte Leopold II. den englischen Konsul für ein Gespräch unter vier Augen ein. Er empfing ihn in seinem Privatkabinett. Überall standen Figürchen aus Porzellan, Jade und Elfenbein. Der Monarch duftete nach Kölnisch Wasser, seine Fingernägel waren poliert. Wie am Vorabendkam Roger kaum zu Wort. Der belgische König sprach von seinem quijotesken Bestreben und wie unverstanden er sich von übelmeinenden Journalisten und Politikern fühle. Zweifellos komme es zu Fehlern und Unregelmäßigkeiten. Der Grund? Es sei eben nicht leicht, fähige, redliche Leute zu finden, die es wagten, eine Aufgabe im fernen Kongo zu übernehmen. Er bat den Konsul, ihn persönlich zu informieren, sollte er auf seinem neuen Posten auf Verbesserungswürdiges stoßen. Auf Roger wirkte der belgische König wie ein dünkelhafter Egomane.
    Zwei Jahre später, im Jahr 1902, sagte er sich nun rückblickend, dass diese Einschätzung zweifellos zutraf, der Monarch darüber hinaus aber auch eine kühl kalkulierende, machiavellistische Intelligenz besaß. Kaum bestand der Kongo-Freistaat auf dem Papier, reklamierte Leopold II. 1886 per Dekret etwa zweihundertfünfzigtausend Quadratkilometer zwischen den Flüssen Kasai und Ruki als Domaine de la Couronne , als Gebiet der Krone, die ihm seine Kundschafter – allen voran Stanley – als reich an Kautschukbäumen beschrieben hatten. In diesem Territorium wurden keine Konzessionen an private Unternehmen vergeben, es sollte direkt durch den Monarchen genutzt werden. Die Körperschaft der Internationalen Kongo-Gesellschaft wurde abgelöst vom Kongo-Freistaat, dessen Präsident und einziger Bevollmächtigter Leopold II. war.
    Mit der an die internationale öffentliche Meinung gerichteten Begründung, der Sklavenhandel könne wirkungsvoll nur durch eine »Ordnungsmacht« unterdrückt werden, entsandte der König zweitausend Soldaten der belgischen Armee, zu der eine Miliz von zehntausend Einheimischen kam, für deren Unterhalt die kongolesische Bevölkerung aufkommen musste. Dieses Heer wurde zwar zu einem Großteil von belgischen Offizieren befehligt, in seinen Rängen und vor allem unter den Befehlshabern der Miliz war jedoch auch das schlimmste Gesindel anzutreffen: Gauner, ehemalige Sträflinge, Glücksjäger, die den Gossen und Hurenvierteln halb Europas entstiegen waren. Die Force Publique nistete sich, wie ein Parasit ineinen lebendigen Organismus, in den Wirrwarr aus Dörfern ein, die sich über eine Region von der Größe eines von Spanien bis zur russischen Grenze reichenden Europas erstreckten, und verlangte ihre Versorgung durch eine afrikanische Gesellschaft, die nicht wusste, wie ihr geschah, aber sehr wohl erkennen konnte, dass die Invasion, der sie sich plötzlich ausgesetzt sah, eine noch schlimmere Plage war als die der Sklavenhändler, Heuschrecken, roten Ameisen und des tödlichen Fluches der Schlafkrankheit. Denn die Soldaten und Milizen der Force Publique zeichneten
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