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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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beauftragte, David Livingstone in Afrika aufzuspüren, hatte Stanley keinerlei Erfahrung mit Forschungsreisen. Trotzdemdurchquerte er unbeschadet die dichtesten Dschungel, auf einer Mission, die der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen gleichkam, bis er am 10. November 1871 in Ujiji tatsächlich auf den Vermissten stieß, dem es, so Stanley, völlig die Sprache verschlug, als er ihn mit folgenden Worten begrüßte: »Doktor Livingstone, wie ich annehme?«
    Doch mehr noch als für diese Geschichte, mehr noch als für die Expedition von den Quellen des Kongos bis zu dessen Mündung, hatte der jugendliche Roger Stanley für den zwischen 1879 und 1881 geschaffenen Caravan Trail bewundert. Diese Route öffnete dem europäischen Handel den Weg vom Atlantik bis zum Pool , der riesigen Flusslagune, die in den Folgejahren nach dem Abenteurer Stanley Pool getauft werden würde. Später fand Roger heraus, dass dies eine der Initiativen zur Schaffung einer Infrastruktur gewesen war, die es dem belgischen König nach der Berliner Konferenz ermöglichte, das Gebiet zu erschließen. Es war Stanley, der die Pläne des Königs tatkräftig umsetzte.
    »Und ich«, sollte Roger seinem Freund Herbert Ward oft sagen, als ihm nach und nach bewusst wurde, was es tatsächlich mit dem Kongo-Freistaat auf sich hatte, »ich war einer seiner ersten Helfershelfer.« Das stimmte insofern nicht ganz, als Stanley bei Rogers Ankunft in Afrika bereits fünf Jahre mit der Anlage des Caravan Trail beschäftigt war, dessen erstes Teilstück von Vivi bis Isanguila, dreiundachtzig Kilometer den Kongo flussaufwärts durch einen zerschluchteten Dschungel voller morscher Bäume und Sümpfe, auf die nie das Tageslicht fiel, 1880 beendet wurde. Von dort bis Muyanga war der Kongo etwa hundertzwanzig Kilometer befahrbar, für versierte Kapitäne, die durch Stromschnellen manövrieren und bei den täglichen Regenfällen und Hochwassern auf Furten oder in Höhlen Zuflucht finden konnten, um nicht an den Felsen zerschmettert zu werden oder in den Strudeln zu kentern, die sich unaufhörlich bildeten und wieder auflösten. Als Roger bei der Internationalen Kongo-Gesellschaft anfing, hatte Stanley im Dezember 1881 bereits den HandelspostenLéopoldville gegründet, also drei Jahre bevor Roger in den Urwald kam, und vier Jahre ehe der Kongo-Freistaat offiziell zu existieren begann. Zu diesem Zeitpunkt war das größte Kolonialgebiet Afrikas, ins Leben gerufen von einem Monarchen, der es nie betreten sollte, de facto bereits eine Handelsniederlassung, zu der die europäischen Geschäftsleute trotz der Stromschnellen und zahllosen Katarakte der Livingstonefälle vom Atlantik aus gelangen konnten, dank der Route, die Stanley zwischen Boma und Vivi begonnen und über beinahe fünfhundert Kilometer bis Léopoldville und Stanley Pool geschlagen hatte. Als Roger nach Afrika kam, wagten sich bereits einige Kaufleute als Vorhut von Leopold II. ins Landesinnere vor und sicherten sich das erste Elfenbein, die ersten Felle und Körbe mit Kautschuk, denn in der Region gab es so viele Bäume, die den schwarzen Latex ausschwitzten, dass man nur die Hand danach auszustrecken brauchte.
    Während seiner ersten Jahre in Afrika legte Roger mehrmals die Karawanenroute zurück, flussaufwärts von Boma und Vivi bis Léopoldville oder flussabwärts von Léopoldville bis zur Atlantikmündung, wo das schlammig grüne Gewässer salzig wurde und wo 1482 die Karavelle des portugiesischen Seefahrers Diego Cao einen ersten Vorstoß in kongolesisches Gebiet gewagt hatte. Roger wurde mit dem Unterlauf des Kongos vertrauter als irgendein anderer Europäer in Boma oder Matadi, den beiden Ausgangspunkten für die belgische Kolonisierung des Landesinneren.
    Für den Rest seines Lebens – und noch einmal mehr während des Malariaanfalls 1902 – bedauerte es Roger, dass er die ersten acht Jahre in Afrika damit zugebracht hatte, naiv und unbedarft an der Schaffung des Kongo-Freistaats mitzuwirken, seine Zeit und Gesundheit und seinen ganzen Idealismus dieser vermeintlich philanthropischen Sache gewidmet zu haben.
    Manchmal suchte er nach einer Rechtfertigung und fragte sich, wie er auch hätte merken sollen, was auf diesen zweieinhalb Millionen Quadratkilometern vorging, während erals Aufseher oder Gruppenleiter an Stanleys Expedition 1884 oder der von Henry Shelton Sanford von 1886 bis 1888 teilnahm, die von einem eben erst eingerichteten Handelsposten zum nächsten zogen? Er war nur ein winziges Rädchen
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