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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition)
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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liebst, dann geh mit ihm.«
    Das war doch nicht ihr Vater, der so zu ihr sprach! Das waren ja völlig neue Töne, dachte Joe. Auf so eine Idee wäre selbst sie niemals gekommen.
    »Wir kommen auch eine Weile ohne dich zurecht«, fuhr er ruhig fort.
    »An so etwas habe ich überhaupt nicht gedacht«, stammelte Joe noch völlig perplex.
    »Ich möchte nicht, dass meine Tochter den gleichen Fehler macht wie ich.«
    Joe schluckte. Sein Verständnis rührte und verwirrte sie gleichzeitig, doch in Anbetracht des Staus, in dem sie feststeckten, schwand auch jede Hoffnung, rechtzeitig den Flughafen zu erreichen.
    »Ich glaube nicht, dass ich ihn noch antreffen werde. Ich kann das auf keinen Fall mehr schaffen.« Joe klang resigniert. Aus den Augenwinkeln sah sie den mitfühlenden Seitenblick Tanjas, die kurz zögerte, bevor sie dann das Lenkrad scharf einschlug, um den kleinen Smart auf die Standspur zu steuern.
    »Ich drücke dir auf jeden Fall die Daumen. Und eines sollst du noch wissen: Ich bin nicht traurig, dass das mit Huber herausgekommen ist. Dieser Schock war dringend notwendig. Seitdem sehe ich deine Mutter wieder mit neuen Augen. Ich kann verstehen, dass sie die Liebe woanders gesucht hat, aber ich werde um sie kämpfen.«
    »Viel Glück, Paps.« Joe legte auf und lehnte sich erleichtert in ihrem Sitz zurück. Etwas in ihr jubelte. Zum einen, weil ihr Vater diese wundersame Wandlung vollzogen hatte. Zum anderen, weil Tanja schon die ganze Zeit rotzfrech auf der Standspur fuhr und die empörten Blicke der anderen Autofahrer mit einem entschuldigenden und gleichzeitig charmanten Lächeln quittierte. Unweigerlich musste Joe lachen, bis der Countdown der Kilometer sie wieder gefangen nahm. Noch zehn Kilometer, noch fünf Kilometer, und auf einmal waren es tatsächlich nur noch ein paar hundert Meter.
    Atemlos stürzte Joe ins Terminal. Schon von weitem sah sie Marc vorne in der Schlange warten, die sich vor den vier gläsernen Kabinen der Passkontrolle gebildet hatte. Gleich würde er hinter der imaginären Schranke verschwinden, die ihn für das nächste Vierteljahr, vielleicht sogar für ein Leben von ihr trennen würde. Verzweifelt drängte sich Joe an den wartenden Passagieren in der Halle vorbei und schob sich durch eine Reisegruppe hindurch. Sie kollidierte fast mit einem Kinderwagen, stieg über diverse Koffer und Taschen, bis nur noch ein einziger Meter sie von Marc trennte.
    Als sie dann direkt hinter ihm stand und seine Nähe spürte, war sie so aufgeregt, dass sie sich einen Moment sammeln musste. Dabei beschlich sie plötzlich eine diffuse Angst. Was, wenn sie sich getäuscht hatte? Was, wenn Marc sie gar nicht liebte? Sie schob die lähmenden Gedanken zur Seite und gab sich einen Ruck.
    »Entschuldige«, hörte sie ihre eigene Stimme und wunderte sich über den fremden Klang. Sie war rauer als sonst, und sie zitterte leicht. Joe kam sich vor wie ein Teenager, aber das war ihr in diesem Augenblick gleichgültig. Sie brauchte keine Angst zu haben, ihm ihre Gefühle offen zu zeigen. Das wurde Joe in diesen Sekunden überdeutlich klar.
    Marc drehte sich abrupt um. Seine dunklen Augen sahen sie überrascht an, und in dem Moment, als ihre Blicke sich trafen, versank Joe bereits rettungslos in seinen Augen. All die Anspannung fiel von ihr ab. Auf einmal fühlte sie sich grenzenlos erleichtert und befreit.
    »Es tut mir leid!« In ihrer Aufregung redete sie so laut, dass auch alle Umstehenden sie hören konnten, aber das bemerkte Joe gar nicht.
    Marcs Abstand zum Vordermann vergrößerte sich allmählich, denn er war stehen geblieben und schaute Joe immer noch erstaunt an. In seinem Blick mischten sich Ungläubigkeit und Freude.
    »Gehen Sie doch weiter«, hörten sie jemanden schimpfen, doch weder Joe noch Marc nahmen davon Notiz. Längst waren sie in ihrer eigenen Welt, in der Worte überflüssig waren und in der trotzdem alles klar war. So klar, dass es Joe Tränen in die Augen trieb. Sie glänzten groß, dunkel und feucht.
    Flüsternd, aus Angst, ein lautes Wort könne die Liebe wieder vertreiben, meinte sie: »Danke für die Handschuhe. Sie sind wunderschön und … und warm.« Wie gern hätte sie mehr gesagt! Dass sie einen großen Fehler begangen hatte, indem sie nicht erkannt hatte, wen sie wirklich liebte. Dass sie alles falsch gemacht hatte. Dass sie einem dummen Kleinmädchentraum hinterhergejagt war und dass sie jetzt wusste, wen sie liebte: nur ihn, Marc. Stattdessen fingerte sie verlegen an ihrer
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