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Der transparente Mann (German Edition)

Der transparente Mann (German Edition)

Titel: Der transparente Mann (German Edition)
Autoren: Andrea Sixt , Barbara Wilde
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Bestes gab und hupend alle langsamer fahrenden Autos verscheuchte, betete Joe, dass es noch nicht zu spät war.
    Als sie an der Tür läutete, erinnerte sie sich an jenes andere Mal, als sie hier vergeblich am frühen Morgen geklingelt hatte. Erneut drückte Joe den Klingelknopf, diesmal aber länger und eindringlicher. Das Summen des Türöffners brachte ihren Adrenalinhaushalt in Auffuhr. Joe schickte ein kleines Dankgebet zum Himmel. So schnell sie konnte, hetzte sie die Treppen zu seiner Wohnung hinauf. Endlich oben angekommen, traf sie der Schlag. Mit offenem Mund starrte sie auf ihr Gegenüber und brachte kein Wort heraus. Angesichts der blonden, höchstens zwanzigjährigen Schönheit, die cool im Türrahmen lehnte, schien jegliches Blut aus Joes Gehirn zu entweichen. Ihr Blick blieb an dem extravaganten Bauchnabel-Piercing hängen, der Brilli funkelte sie geradezu unverschämt an.
    »Du suchst wahrscheinlich Marc«, hauchte dieses Wesen mit so sanfter Stimme, dass Joe lieber gar nichts sagte.
    Sie nickte nur. Auf einmal fühlte sie sich in dem Mantel über ihrem bunten Kleid und mit den Riemchenschuhen nicht mehr wohl.
    »Ich habe seine Wohnung für ein Vierteljahr übernommen. Er ist auf dem Weg nach Burma«, erklärte ihr die Schöne.
    Joes Gesicht verlor alle Farbe, in ihrem Kopf summte es wie in einem Bienenschwarm. »Nein!«, entfuhr es ihr verzweifelt.
    Sie musste wohl so kläglich geklungen haben, dass die blonde Schönheit Mitleid mit ihr bekam und erkannte, dass sie an diesem Tag noch eine Mission zu erfüllen hatte.
    Kurz darauf saß Joe neben Tanja, so hieß Marcs Untermieterin, in deren schwarz-rot-weißem Smart. Sie waren auf dem direkten Weg zum Flughafen. Tanja war nicht nur schön, sie konnte auch ultraschnell kombinieren, was sie bereits angesichts von Joes kleinem Zusammenbruch bewiesen hatte. Während sie jetzt den Wagen über den Mittleren Ring jagte, rechnete sie Joe vor, dass die vierzig Kilometer bis zum Flughafen bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von einhundertfünfzehn Stundenkilometern durchaus in der nötigen Zeit zu schaffen seien. Sie ließen das neue Fußballstadion, die »Allianz Arena«, in dem die Bayern am Vortag einen Sieg gefeiert hatten, links hinter sich und steuerten auf der Autobahn in Richtung Norden.
    Um sich zu beruhigen, zog Joe Marcs Geschenk aus der Handtasche und wickelte es behutsam aus. Sie öffnete den schmalen weißen Karton. In feines Seidenpapier gehüllt lag da ein Paar gefütterte Handschuhe aus nougatfarbenem, superweichem Leder. Eine Karte lag nicht dabei, aber das war auch nicht wichtig. Von schönen Worten hatte Joe genug. Gerührt strich sie über die glatte, feine Struktur. Lieber Gott, sie mussten es schaffen! Er durfte nicht einfach so wegfliegen, ohne dass sie mit ihm gesprochen hatte!
    Das Läuten ihres Handys riss sie aus ihren stummen Gebeten. Hektisch kramte Joe in ihrer Tasche, zog das blinkende Mobiltelefon heraus, und ohne auf das Display zu blicken, drückte sie flugs auf Empfang. »Hallo?«
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich wünsche dir viel Glück, viel Liebe, viel Erfolg und einen Vater, der dich endlich versteht.«
    Joe lächelte überrascht und gerührt. Es war zwar nicht der Anruf, den sie erhofft hatte, aber es war ihr Vater, der auf eine ganz neue Art und Weise zu ihr sprach.
    »Wann können wir mit dir feiern?«
    Joe zögerte einen Moment. »Weiß nicht. Bin gerade unterwegs.« Aus Angst, nicht zu gefallen, hätte die alte Joe ihm sicher nie erzählt, was sie gerade unternahm. Die neue Joe aber entschied sich für Klarheit. »Ich bin auf dem Weg zum Flughafen«, bekannte sie schlicht. »Marc fliegt weg. Ich muss ihn unbedingt sehen, bevor er abfliegt. Unbedingt.« In ihrer Stimme schwang Panik mit, die zunahm, als sie sah, wie die Autos vor ihnen immer langsamer wurden und schließlich fast zum Stehen kamen. Dabei befanden sie sich erst kurz vor dem Zubringer zur Salzburger Autobahn und somit noch eine Ewigkeit vom Flughafen entfernt.
    »Wo fährt er denn hin?«
    »Nach Burma.«
    »Da bleibt er wohl wieder den ganzen Winter«, mutmaßte Werner Benk.
    Die Autos bewegten sich inzwischen keinen Millimeter mehr vorwärts. Joe wurde übel. »Ja, den ganzen Winter«, antwortete sie tonlos.
    »Wenn ich dir einen Rat geben darf …«, meinte ihr Vater, er räusperte sich, bevor er nach einer kleinen Pause weiterredete: »Nichts ist so wichtig wie die Liebe. Schon gar nicht die Arbeit oder ein Geschäft. Wenn du ihn
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