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Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie

Titel: Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
Autoren: Shana Abé
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der Leibeigenen hatte einen orangefarbenen Fleck gegen die Wolken und die Burg geworfen, den man aus meilenweiter Entfernung sehen konnte. Das Dorf war menschenleer gewesen, weil ein Bewohner nach dem anderen zu Fuß oder
zu Pferd den Berg hinaufeilte, um Zeuge dessen zu werden, was sich dort ereignet hatte: Prinz Imre, der letzte der reinblütigen Drákon, war tot.
    Seine junge Braut hingegen nicht.
    Sandu war sieben Jahre alt gewesen, Maricara kaum elf. Die Eltern hatten die Tür zu seinem Zimmer verriegelt und sich geweigert, ihn hinauszulassen. Im Dunkel des frühen Morgens war Maricara aber trotzdem zu ihm gekommen, indem sie mit Leichtigkeit durch die geschrumpften Schindeln des Dachs schlüpfte, um sich dann vor seinem Bett zu materialisieren.
    »Er ist von uns gegangen. Ich habe dich ausgewählt, uns zu regieren.«
    In seiner schläfrigen Benommenheit hatte Sandu nur »Was?« zustande gebracht.
    »Ich habe dich ausgewählt« , wiederholte sie geduldig . » Komm hoch zur Burg. In der Dämmerung.«
    Und das hatte er getan. Es war die letzte Nacht gewesen, die er im Dorf verbracht hatte.
    Er hatte nicht gewusst, wie der Prinz gestorben war. Er hatte überhaupt nichts gewusst. Aber als er endlich den Berg hinaufgestiegen war, sah er die Blutangst in den Augen der anderen Bauern, die niedergefallenen, überall auf dem Burghof in öligen Pfützen gelöschten Fackeln. Er sah Maricara, dünn und tapfer, die eine Hand hob und den scheinbar unvermeidlichen Aufruhr bezwang. Der Alpha der Drákon war tot, und von seiner Herrschaft war nichts übrig als ein Strich von einem Mädchen, dessen einziger Griff nach der Autorität auf Drachenzähnen und Schuppen und wenig sonst gründete.
    Seitdem hat sie immer die Hand oben gehabt, dachte er. Und weil sie war, wer sie war - was sie war -, hatte sie Erfolg gehabt. Gerade so eben.

    Wieder starrte Sandu auf das Papier. Er hatte nichts von dem Kirchturm gewusst. Schafe und Schweine konnten ersetzt werden - oder man konnte zumindest für sie bezahlen. Ein Kirchturm bedeutete einen Priester. Ein Priester konnte Fremde hereinbringen, sogar eine ganze Menge von ihnen.
    Aus dem Augenwinkel sah er, wie Maricara sich vorbeugte, und er rückte das Papier so zurecht, dass sie es besser sehen konnte. Mit Puder parfümiert und in Seide gehüllt wirkte sie jeder Zoll wie eine Aristokratin. Ihr Atem blieb gleichmäßig, als sie den Inhalt las. Sie wandte kaum merklich den Kopf, und die Rubine an ihrer Kehle entließen einen Knoten aus funkelndem Feuer.
    »Ihre Hoheit.« Der Schatzmeister verbeugte sich erneut und berührte mit den Fingern seine Stirn. »Ich bitte Sie um Ihre allergnädigste Vergebung. Eine Liste wurde erstellt mit ein paar der jüngsten Verluste aus den Dörfern. Nichts besonders Wichtiges, wie Sie feststellen werden, aber trotzdem …«
    »Ja«, sagte Sandu, der endlich die Sprache wiederfand. »Ja«, wiederholte er und räusperte sich. »Sehr bedauerlich. Wir werden nicht zulassen, dass unser Volk leidet, ganz egal aus welchem Grund. Wir werden für Entschädigung sorgen.«
    Der Schatzmeister verneigte sich erneut. Maricara blieb steif auf ihrem Stuhl sitzen. Ein Bauer mitten in der Menge kam auf die Füße.
    »Ihre Hoheit«, sagte der Mann, ohne den Kopf gebührend zu beugen. »Vergeben Sie mir. Wir wollen wissen, wie unsere Verluste beendet werden.«
    »Beendet?«
    »Es war mein preisgekröntes Schwein. Vier feine Ferkel. Sie wurden noch gesäugt. Wie soll das alles aufhören?«

    Unwillkürlich starrte Sandu seine Schwester an. Mit regloser Miene erwiderte sie seinen Blick. Auf diese kurze Entfernung leuchteten ihre Augen klar und beinahe farblos wie Spiegel. Er konnte gar nichts in ihnen erkennen.
    »Wir wissen nicht ganz genau, wie wir diese Tiere verlieren«, sagte er schließlich sehr langsam. »Wir wissen nicht, wie sie starben oder auf welche Weise die Gebäude beschädigt wurden. Wir wissen, dass Wölfe gesichtet wurden …«
    »Vernichtet«, unterbrach ihn ein anderer Mann, der ebenfalls stand. Er war blasser und schmaler als der erste, und Sandu vermochte ein gedämpftes Pulsieren von Drákon in seinem Blut zu spüren. »Der Kirchturm wurde zerstört, mein Prinz, und zwar von innen wie von einem sehr großen wilden Tier. Keinem Wolf.«
    »Meine Schafe«, begann ein weiterer Leibeigener mit bebender Stimme. »Mein Mutterschaf, aufgefressen!«
    »Keiner von uns würde so etwas tun«, warf Sandu ein. »Ihr wisst das. Das würden wir nicht tun.«
    Niemand
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