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Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Der Totenwächter - Roman (German Edition)

Titel: Der Totenwächter - Roman (German Edition)
Autoren: Vanessa Farmer
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ohnmächtig wird und markerschütternd schreit, weil eine Höhle einstürzt. Das erschreckte Sie, zweifellos, aber es versetzt Sie nicht in Panik.«
    »Ach nein? Haben Sie schon mal von Verschütteten gehört, die elendig verhungert und verdurstet sind?«
    »Was ist geschehen?«
    Sie schnaufte.
    Brad sagte: »Wir fanden Sie im oberen Bereich des Gangs. Da hatten Sie mit dem Einsturz gar nichts mehr zu tun. Das Malheur geschah dreißig Meter weiter unten, also eine ganze Strecke von Ihnen entfernt.«
    Linda musterte den Fotografen. Bisher hatte sie nicht mehr als einen Arbeitskollegen in ihm gesehen. Auch gestern Abend, als sie miteinander getanzt hatten und er sie an sich gedrückt hielt, wäre ihr nicht im Traum eingefallen, etwas anderes in Brad zu sehen, als einen netten Kerl, der ein etwas loses Mundwerk hatte, sehr gut aussah, fantastische Fotos schoss ... und ledig war. Ihr war in den letzten Tagen nicht entgangen, wie er auf Grace wirkte. Es war fast so, als trage ihre Tochter ein Schild vor der Brust: Hey, Mom! Das ist der Richtige für dich! Ziere dich nicht!
    Sie rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen.
    »Ich hatte eine seltsame Begegnung.«
    Brad schnaufte und legte den Kopf etwas schräg. »George Bush oder der Geist von Ronald Reagan?«
    »Unten in der Grabkammer gehen unheimliche Dinge vor sich.«
    Brad grinste. »Sagte ich doch.«
    »Entweder Sie bleiben ernsthaft, oder ...«
    »Schon gut, sorry.« Er sah Linda ernst an.
    Das machte ihr Mut.
    Sie erzählte Brad, was geschehen war.
    Als Grace mit der Cola kam, endete sie. »Das ist alles.«
    Brad beugte sich zu Linda rüber, sodass es aussah, als flüstere er ihr zarte Worte ins Ohr. Grace stellte die Flaschen auf den sandigen Boden und blickte in eine andere Richtung.
    »Bei den meisten anderen Frauen würde ich mich nun vor Lachen ausschütten. Bei Ihnen ist das etwas anderes. Es ist seltsam, aber ich glaube Ihnen jedes Wort!«
    Sein Vertrauen durchflutete Linda mit sanfter Wärme. Am liebsten hätte sie sich mit einem Kuss bei ihm bedankt.
    Stattdessen nickte sie, beugte sich vor, griff eine der Colaflaschen und trank wie eine Verdurstende.
     
     

4
     
     
    Der Reisebus brachte sie zurück zum Nilschiff. Der Reiseleiter kam zu ihnen. Er hatte von der Angelegenheit nichts mitbekommen, da er sich zu dieser Zeit mit seiner Reisegruppe in einer anderen Grabkammer aufgehalten hatte.
    Es tue ihm unsagbar leid, radebrechte er. Auf seiner Stirn stand Schweiß. Seine Augen glänzten. Nur mühsam unterdrückte er seine Gereiztheit.
    Linda ahnte, warum. Es war Ramadan. Gläubige Moslems durften von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder essen, trinken, noch - was bei den meisten wohl am schlimmsten war - rauchen. Abends hingegen wurde geschlemmt, dass sich die Balken bogen. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, wie es war, bei diesen Temperaturen ohne Flüssigkeitsaufnahme seine Arbeit zu tun. Wen wunderte es, dass moslemische Dienstleister ihren Unmut nur mit großer Gelassenheit oder Selbstbeherrschung unterdrückten?
    Man hatte Linda gewarnt. Der Service würde in dieser Zeit schlecht sein und das Personal mürrisch. Dem war nicht so. Auf dem Schiff herrschte eine friedliche Stimmung und der Service war wundervoll. Hinzu kam das Wetter. Über New York hatte zwar ein stahlblauer Himmel gestanden, jedoch klirrende Kälte geherrscht. Hier zeigte das Thermometer 28 Grad im Schatten. Welch ein Unterschied.
    Es dauerte eine Weile, bis sie den Reiseleiter davon überzeugt hatte, er müsse sich keine Sorgen machen. Er schien Angst zu haben, dass sie die Reisegesellschaft verklagte. Kein Wunder - Amerikaner waren im Tourismusgeschäft gefürchtet, wenn es darum ging, Rechtsanwälte wegen Kleinigkeiten zu beschäftigen.
    Linda lehnte sich zurück und blickte aus dem Fenster.
    Die Landschaft war karg und sandig. Steine, Geröll, und hier und dort eine verfallene Hütte. Das Leben spielte sich ausschließlich am Nil ab. Ein Streifen von etwa siebenhundert Metern rechts und links. Der Fluss diente als Lebensader. Hier gab es Vegetation, Dörfer und sogar kleinere Städte. Linda wurde ein wenig traurig, wenn sie daran dachte, was mit diesem Volk im Laufe der letzten Jahrtausende geschehen war. Überlegte man, dass die Ägypter schon lange vor Christus eine Hochkultur besessen hatten, zählten neuzeitliche Armut, Verfall und nicht zuletzt die politischen Wirren umso härter. Der einstige Diktator Husni Mubarak war todkrank und würde der Gerechtigkeit
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