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Der Totenschmuck

Titel: Der Totenschmuck
Autoren: Sarah Stewart Taylor
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an und bitte sie, sich sofort bei Ihnen zu melden. Ich muss die Nummer erst kurz aus ihrem Büro holen. Vielleicht ist sie sogar da. Sie ist oft an den Wochenenden im Büro.« Quinn hörte einen Anflug von Missbilligung aus ihrem Tonfall heraus.
    Er nannte seine Nummer und seine Abteilung und legte gerade auf, als einer der uniformierten Beamten ins Zimmer trat.
    »Sie reden gerade mit dem Burschen, der ihn gefunden hat, dem Mitbewohner. Er hatte den Namen des Toten erwähnt, aber keiner von uns hat geschaltet, erst jetzt. Die Leiche ist ein Putnam.«
    »Wie in …?«
    »Wie in.«
    Der Beamte konnte nur schwer ein Grinsen unterdrücken.

Drei
    Sweeney aß ihren Lunch auf dem Cuphea Path des Mount-Auburn-Friedhofs an einen Gedenkstein in Form eines aufwändig geschmückten Sargs gelehnt, als ihr Handy klingelte.
    Es war Sonntag, und sie hatte das Telefon - das sie hasste, aber dringend brauchte - ausschalten wollen, aber sie hatte es vergessen, und jetzt klingelte es vorwurfsvoll.
    Mit einem Blick auf das Display erkannte sie, dass jemand aus dem Sekretariat des Instituts anrief, lehnte sich wieder an den Stein und ließ es klingeln. Es war verdammt noch mal Sonntag. Wenn es wichtig war, konnten sie eine Nachricht hinterlassen.
    Eine leichte Brise fuhr durch die Baumkronen, Sweeney schloss die Augen und sog die feuchte, kühle Luft ein. Es war Ende April; nach einem langen, ungewöhnlich eisigen Winter stand die Natur endlich auf der Schwelle des Frühlings. Der Schnee war geschmolzen, aber die Erde war durchnässt und kalt, noch nicht fruchtbar. Die Zweige der Bäume darüber waren mit einem limettengrünen Flaum überzogen, und das helle Sonnenlicht fühlte sich anders an, intensiver als noch vor wenigen Wochen. Am Vorabend hatte Sweeney die Vernissage eines Freundes besucht und war zu lange geblieben - der Künstler hatte selbst um Mitternacht noch nicht alle Gäste begrüßt, und sie war danach etwa eine Stunde geblieben und hatte zu viel von dem guten Wein getrunken. Sie schmiegte sich dichter an den Stein, bis sie seine Unebenheiten
spürte und merkte, wie die frische Luft die letzten Überbleibsel ihres Katers vertrieb.
    Das Telefon war verstummt, sie öffnete die Augen und freute sich über die Stille. In der Ferne hörte sie Autos und Laster auf der Mount Auburn Street vorbeirauschen, aber es kam ihr fast so vor, als sei sie auf dem Land. Sie drehte sich um, drückte ihr Gesicht gegen den feuchten Stein und atmete seinen grauen Freiluftgeruch ein.
    Auf einer kleinen Anhöhe an der Grenze zwischen Cambridge und Watertown erstreckte sich über terrassenförmig ansteigende Hügel mit den Grabstätten einiger der wichtigsten Bostoner Familien der Mount-Auburn-Friedhof. Gegründet 1831 als einer der ersten Gartenfriedhöfe Amerikas stand er für einen Umbruch in der Denkweise, wie die Amerikaner bis dato den Tod verstanden hatten, für eine Abwendung von den schwärenden, überfüllten Friedhöfen und Katakomben in der Stadt und eine Hinwendung zu der natürlichen Ruhe der Hügel im Grünen. Die Grabreihen und die kleinen und großen Grabstätten waren mit Wegweisern versehen und wurden von schmalen Pfaden mit Namen wie Tulip Path und Fir Avenue gesäumt, die mit den sorgsam gepflegten Bäumen und Blumen auf dem Friedhofsgelände harmonierten.
    Der Friedhof hatte seinen Namen von den Studenten erhalten, die Anfang des neunzehnten Jahrhunderts gern durch diesen Landstrich spaziert waren und ihn nach dem Gedicht »Das verlassene Dorf« von Oliver Goldsmith »Sweet Auburn« genannt hatten.
    Sweeney hatte stets etwas für diese durch Oliver Goldsmiths Ideal eines ländlich-pastoralen Dorfes inspirierte Idee der damaligen Studenten übriggehabt.
    Später, als eben jene Studenten in der Stadt das Sagen hatten und mit dem Problem überfüllter, unhygienischer Friedhöfe und Leichenhallen konfrontiert worden waren, beriefen sie sich auf die alten Erinnerungen jugendlicher Betrachtung
der Sterblichkeit und beschäftigten sich mit der Frage, wo die Toten Bostons ihre letzte Ruhe finden sollten.
    Sie aß ihr Sandwich mit Eiersalat auf und beschloss zu gehen. Im Büro wartete Arbeit auf sie, die Vorbereitung der morgigen Vorlesung über Trauermotive in der Kunst für ihr Hauptseminar sowie ein Stapel Aufsätze, die sie lesen musste, damit sie die Texte ihren Studenten morgen wieder aushändigen konnte.
    Als sie durch das Tor schlüpfte, hörte sie die Nachricht der Sekretärin auf ihrem Mobiltelefon ab. »Sweeney?« Die
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