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Der Totenschmuck

Titel: Der Totenschmuck
Autoren: Sarah Stewart Taylor
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kann auch mit der Tram nach Hause fahren.«
    Quinn schwieg, machte einen Schritt nach vorn und nahm den Brief in die Hand. Er starrte ihn einen Moment an, besah ihn sich von allen Seiten, als würde er ihn wiedererkennen, als wäre er ein Gegenstand, der ihm vertraut war.
    Wortlos reichte er ihn ihr.
    »Sind Sie sicher …?«
    »Bitte.« Er schluchzte.
    Sweeney öffnete den Umschlag.
    »Timmy, Liebster«, begann der Text. »Wenn du dies lesen wirst, werde ich nicht mehr da sein. Ich bin im Bad, aber komm bitte nicht rauf. Ich will nicht, dass du mich siehst. Ich habe Megan gestillt, und sie ist eingeschlafen. Ich habe sie geküsst. Ich weiß nicht, was ich für sie empfinde, aber du musst sie natürlich anlügen und ihr sagen, dass ich sie geliebt habe, wenn sie älter ist und sich nicht an mich erinnern kann. Ich kann dir nicht erklären, warum. Ich bin eine Gefahr für dich, für dich und Megan. Ich hatte in den letzten Wochen keine guten Gedanken, und es ist eine Erlösung, dass ich diese
Entscheidung getroffen habe. Du kannst nicht wissen, wie süß die Erlösung sein kann. ›Der unspektakuläre Tod.‹ Das hast du einmal zu mir gesagt. Ich weiß nicht mehr, in welchem Zusammenhang, aber so fühlt es sich an. Als du mich an jenem Abend in Mrs M’s Garten gefunden hast, wusste ich, was ich zu tun hatte. Alles wird gut. Ich liebe dich. Und es tut mir leid.«
    Sie sah zu ihm auf, aber er war schon halb die Treppe hinaufgerannt.
    »Nicht!«, rief sie. »Sie will nicht, dass Sie …« Sie folgte ihm und ließ den Brief fallen. Sie wollte alles dafür tun, um ihn aufzuhalten, aber als sie den ersten Stock erreichte, hielt er Megan bereits in den Armen, die erschrocken zu wimmern begann.
    »Sie ist tot, nicht wahr?« Er hielt das Baby an seinen Brustkorb gepresst und erdrückte sie fast. Sweeney fühlte sich hilflos und streichelte seinen Arm. Er wandte sich ab, als könne er ihre Berührung nicht ertragen, fuhr mit seinem Gesicht über den weichen Haarflaum des Babys und presste seine Lippen auf sein Gesicht. Megan erblickte Sweeney und strahlte über das ganze Gesicht.
    »Ich weiß es nicht. Das hat sie jedenfalls geschrieben. Soll ich …?«
    »Nein, nein«, sagte er.
    Ein paar seltsame Dinge fielen ihr auf. Im Flur stand ein Hochzeitsfoto der beiden, Maura trug ein viel zu bauschiges Kleid und ein eigenartiges, weißes Stirnband, das mit Perlen und Steinchen verziert war, und Quinns Haare waren zu kurz, er sah auf dem Foto fast glatzköpfig aus.
    »Ich wusste es«, flüsterte er und rieb sein Gesicht noch immer an Megans Kopf. »Ich wusste es, als wir reinkamen.«
    Sweeney ging nach unten, um den Notarzt zu rufen.
     
    Wenige Tage später griff sie nach ihrem Adressbuch und setzte sich an den Küchentisch. Toby hatte ihr einen Strauß
Pfingstrosen vorbeigebracht, und sie beugte sich vor, um ihren süßen würzigen Duft einzuatmen.
    Sie dachte an Ivy. Ivy hatte Pfingstrosen immer geliebt. Sie hatte es gemocht, sich eine Blüte hinter das Ohr oder in ein Knopfloch von ihrem Kleid zu stecken, eine rosafarbene oder eine rote, um ihre Haarfarbe zu betonen, und der Duft war beim Gehen hinter ihr hergeschwebt.
    Sweeney dachte auch an Ian und seine Worte, die sie noch beantworten musste.
    Das Gras ist jung und grün und überall schien das Leben tröpfchenweise zurückzukehren, wie ein süßer Sirup, der alle Lebewesen durchströmt. Überall blühten Osterglocken, die mir nicht etwa zuwinkten und auf und ab hüpften, sondern sich vor mir zu verneigen schienen. Die Obstbäume standen in voller Blüte, die Zweige der Kirschbäume sahen mit ihren schweren Blüten aus wie Wattebäusche.
    Sie schlug den Buchstaben »I« auf, suchte nach der Nummer von Ivy in Summerlands und notierte sie auf einem Zettel.
    Dann blätterte sie vor bis zum »B«, wo sie die Visitenkarte angeheftet hatte, auf die Ian vor all den Monaten seinen Privatanschluss geschrieben hatte. Sie hatte sie noch nicht in ihr Adressbuch übertragen. Sie notierte auch diese Nummer, auf einem anderen Zettel, und legte sie zu dem anderen.
    Lange betrachtete sie die Nummern. Schließlich zerknüllte sie einen der beiden Zettel und legte ihn in eine leere Zuckerdose in der Mitte des Tisches, neben den Pfingstrosen.
    Sweeney nahm den Hörer und wählte die Vorwahl von Großbritannien, danach den Ortsanschluss und stellte sich vor, wie ihre Stimme durch die Luft und über die Leitungen gelenkt wurde - gab es überhaupt noch diese Leitungen? -, unter dem mächtigen Ozean
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