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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Autoren: Barbara Krohn
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Ihnen tut es das auch«, sagte Livia.
    »Obwohl die Idee nicht schlecht ist«, nahm die Tabakfrau den Gedanken wieder auf. »Sie malen jede Woche ein Bild von mir und bezeugen so meine Verwandlung. Gegen Ende des Jahres hätte ich dann rund vierzig Bilder zusammen und müßte mir eine neue Wohnung suchen. Auch ein Grund, um aus Neapel wegzuziehen.«
    »Wie machen Sie das, zwei Kilo pro Woche?« erkundigte sich Livia.
    »Ein Geheimnis«, schmunzelte die Tabakfrau und wurde ein wenig rot. Sie platzte heraus: »ein Kinderspiel«, und kicherte dazu wie eine Fünfzehnjährige.
    Wie um ein Gegengewicht zu schaffen, sich selbst Einhalt zu gebieten, hob sie die rechte Hand.
    »Sehen Sie ihn, diesen Ehering? Ich muß es ablegen, mein dickes Mutterfell, damit ich endlich den Ehering ablegen kann.« Sie holte tief Luft. »Vor über zwanzig Jahren hat er ihn mir aufgesteckt, und ich bekomme ihn nicht mehr runter vom Finger, ist es nicht unglaublich? Nicht mit Seife, nicht mit Olivenöl. Dabei ist er längst auf und davon, mein Ehemann, nur dieser Ring ist mir geblieben.« Sie schluckte, ihre Stimme klang zornig. »Ein Fluch, den ich an mir trage, jeden Abend, jeden Morgen, dieser Ring. Mit wem soll ich denn verbunden sein? Wissen Sie, die Sklaven, die trugen ihn am Ohr, wie das die jungen Leute heutzutage wieder machen, ich aber, ich will ihn loswerden. Nur mein Fleisch drumherum beschützt ihn noch, verstehen Sie?«
    Livia konnte gut nach vollziehen, was die Tabakfrau sagte, denn sie selbst hatte sich bisher standhaft geweigert, einen solchen Ring aufzusetzen, und würde es auch weiterhin tun.
    Die Tabakfrau seufzte. »Es ist so viel leichter dick zu werden als abzunehmen.« Da wurde so manches hochgeschwemmt, Erinnerungen, gute und schlimme Tage, Sehnsucht, geballte Wut. Keine Trennung, keine Geburt ohne Schmerzen.
    Dann dachte sie, daß es nicht stimmte, was sie gesagt hatte, daß auch das Gegenteil richtig war. Eigentlich war es ein ganzes Stück lustvoller abzunehmen und zu entdecken, was alles in ihr verborgen war, um nicht zu sagen: begraben, tief unter der Haut: Abgründe. Erotik. Wer konnte schon ahnen, was sich noch alles an verstaubtem Glitzern in ihr entdecken ließ. Jedenfalls war sie eines Morgens auf die Idee gekommen, sich malen zu lassen, und zwar von einer Frau. Frauenblicke würden etwas anderes hervorkitzeln. Höchste Zeit, daß die Frau in ihr zum Zuge kam.
    Livia hatte die beiden mobilen, mit einer Gasflasche ausgestatteten Heizöfen angezündet und so plaziert, daß es im ganzen Raum angenehm warm war. Die erste Sitzung würde ungefähr anderthalb Stunden dauern. Eine dreiviertel Stunde lang stillzusitzen, war für die meisten Leute bereits eine Qual. Zumal nichts passierte, zumindest nichts, was von außen kam: keine Werbung, kein Film auf der Leinwand, keine Schauspieler, keine Musiker, kein Lehrer, einfach nichts. Nur die Leinwand, und dahinter die Malerin, deren Blick sich völlig verändert zu haben schien. Sobald sie den Pinsel in der Hand hielt, wurden die Leute für sie zum Objekt. Ein spannendes Objekt, aber ein Objekt. Als würde ich einen Apfel malen, hatte sie der Tabakfrau erklärt, so ungefähr.
    Livia malte am liebsten Leute, die auf irgendeine Weise in Bewegung waren, bei denen sich etwas tat. Irgendwo, sei es im stillen Kämmerlein, davon war sie überzeugt, tat sich bei den meisten Leuten etwas, auch wenn sie es selbst noch nicht wahrhaben wollten. Stillstand war eine Fiktion, Stillstand trat erst mit dem Tod ein, und auch in der Hinsicht ließen sich Zweifel erheben. Selbst wenn man deprimiert oder krank war, bewegte sich etwas, wurde etwas vorbereitet, das einem selbst noch nicht bewußt war. Nicht zufällig führten Kinderkrankheiten stets zu einem Wachstumsschub, und bei Erwachsenen war das ähnlich, nur daß das Wachstum nicht mehr so sichtbar war. Außerdem hing natürlich alles davon ab, ob jemand sich überhaupt bewegen wollte. Falls dem so war, reizte es sie ungemein, diese Spannung in einem Menschen aufzuspüren und auf die Leinwand zu transponieren, die Spannung zwischen einem Zustand und dem nächsten, das Abwarten, die Ambivalenz von Gefühlen, diese Aufbruchslandschaft der Körper und Gesichter, die sich an so unterschiedlichen Stellen verriet wie den Augen oder dem Mundwinkel, einer bestimmten Kopfhaltung, den Schultern, der Haut. Manchmal drückte das Gesicht Stagnation aus, während der Körper schon auf dem Sprung war, längst die Lust an Veränderungen signalisierte,
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