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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Autoren: Barbara Krohn
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egal in welcher Richtung, aus welchem Grund – Motive, Moral, so etwas interessierte sie auch vor der Leinwand kaum
    »Möchten Sie etwas trinken? Bier? Wein? Wasser?«
    Während Livia zwei Gläser füllte, eins mit Wasser für die Tabakfrau, eins mit Terpentin für die Pinsel, erklärte sie, daß sie sich beim Malen nicht unterhalte. Zwar würde sie ab und zu etwas sagen, doch nur zu sich selbst, wie ein Musiker, der beim Spielen mitsummt. »Apropos, möchten Sie, daß ich Musik auflege? Oder ist Ihnen die Stille lieber?«
    »Eine stille Musik vielleicht«, sagte die Tabakfrau, die hinter dem Paravent ihre Kleider ablegte. »Eine, die zum Regen paßt.«
    Die Tabakfrau rutschte verkrampft auf dem Stuhl hin und her, schlang das rechte Bein um das Stuhlbein, verschränkte die Arme zu einer Barrikade, merkte dann, daß sie sich dahinter versteckte. Doch wohin mit den Armen? Sie legte sie in den Schoß, versuchte, die Hände zu falten, kam sich merkwürdig vor dabei, wie ihre eigene Großmutter in der Abendsonne vor dem Haus, sie ertastete den Ring, zog die Hände auseinander, legte sie schließlich auf den Oberschenkeln ab.
    Bei der Vorstellung, sich auszuziehen, war ihr anfangs nicht wohl gewesen. Noch nie hatte eine andere Frau – außer Anna, ihrer Tochter – sie nackt gesehen. Am Strand verbarg sie ihren Körper in einem altmodischen Badeanzug, im Kaufhaus verschwand sie in der Kabine, und beim Arzt war sie seit vielen Jahren nicht mehr gewesen. Ihr kamen die Entbindungen in den Sinn, die Hebammen und Krankenschwestern, die Ärzte – bei allen vier Kindern ein Mann. Das zählte nicht. Sobald sie ein Krankenhaus betrat, verlor sie jegliches Zugehörigkeitsgefühl zu ihrem Körper, in einer Arztpraxis war das ähnlich, als würde sie einen Teil des Körpers an der Garderobe ablegen. Natürlich hätte sie sich hier nicht ausziehen müssen, niemand hatte sie dazu gezwungen, sie konnte sich ebensogut in Rock und Pullover malen lassen. Doch wenn sie die Absicht gehabt hätte, sich weiterhin zu verstecken, hätte sie ebensogut in ihrem Laden hinter dem Tresen hocken bleiben können, das Kittelkleid um Brust und Bauch geknöpft wie eine Schwimmweste. Also, bis auf den Unterrock runter mit Blümchenstoff, Bluse, Pullover – der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser. Es war ja ihr Anliegen, gesehen zu werden, und später mit eigenen Augen und nicht in einem Spiegel zu sehen: was es an Assunta Maria Balzano zu sehen gab.
    Soweit war es noch lange nicht. Am liebsten hätte sie mit Röntgenaugen die Leinwand durchbohrt oder der Malerin über die Schulter geguckt. Was da wohl entstand? Die Vorstellung, ein Objekt zu werden, wie zum Beispiel ein Apfel oder ein Regenschirm oder eine Flasche, war nur eine Möglichkeit unter vielen … Der Gedanke amüsierte sie. Womöglich entstand dort soeben ein Körper aus Äpfeln, Bananen, Birnen, Orangen, mit einem Kopf aus einer Melone und Pflaumen als Augen … Andererseits: Wieso die Begrenzung auf harte Materie, wie wäre es mit gepreßtem Apfelsaft, einer Sauce aus geschmolzener Schokolade und Cognac, einem kleinen Amaretto oder ganz einfach frischer Milch … Ach, diese Gelüste. Sie kam ins Schwärmen. Mein Körper ist im Fluß, dachte sie, ein Lavakörper, erstarrt ist er noch lange nicht. Ich bin wieder gefragt. Nein, dachte sie dann, mach dir nichts vor, dein Körper ist es, der wieder gefragt ist. Schluß mit der Träumerei.
    Wieviel Zeit wohl schon vergangen war. Sie sah zu Livia hinüber, die nur noch für die Leinwand zu existieren schien, ihrem Objekt nur kurze abschätzende Blicke zuwarf. Der Blick der Tabakfrau wanderte zum Paravent, der ein Stückchen weiter links neben der Staffelei stand, ein dreiteiliger Wandschirm mit allerlei Figuren, Frauen in Kimonos, Männer in langen, weiten Gewändern, Berge mit schneebedeckter Kuppe, orientalische Vögel mit langem Gefieder, Ruderboote auf Häkchenwellen.
    Diese schlanken, asiatischen Boote – wenn sie nur solch ein Boot hätte. Die Tabakfrau sah Lichter in der Dunkelheit flimmern, dort, wo die Boote auf dem Wasser schunkelten und sich leise an den hölzernen Bohlen rieben. Das sanfte Geräusch wurde vom Lärm des sechsspurigen Lungomare aufgesogen – es sei denn, man saß selbst auf solch einem Steg und ließ die Beine baumeln und aß Taralli oder Kartoffelchips, dazu Bier oder Cola aus der Bude vorn an der Straße. In Ger danken sah die Tabakfrau zum Yachthafen von Mergellina hinüber. Wenn ich solch ein Boot hätte,
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