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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Autoren: Barbara Krohn
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war steinig, der Mann ein Dreckskerl mit Seidenhänden. Vier Wochen lang hatte er sie getragen, auf Händen, das wollte schon etwas heißen. Jeder Tag zählte tausendfach, eine kleine Ewigkeit, diese Begegnungen zwischen acht und Mitternacht. Wieso hatte sie sich nur in ihn verliebt? Wieso hatte sie nicht bemerkt, daß die Bedingungen sich änderten, die Streichelbedingungen, die Hingabe, daß der Reiz längst verklungen war – die große Täuschung, es sei nicht nur ihr Körper, es sei mehr…
    Und jetzt? Jetzt schwitzte sie nicht mehr, sie fröstelte, sackte ein wenig in sich zusammen, ballte dann innerlich die Fäuste, richtete sich auf. Und zugleich schrumpfte und verblaßte auch dieser Mann, alle Farbe wich von ihm, Grautöne breiteten sich aus, lösten die Konturen auf, bis nur noch Staub blieb, grauer Staub und Stille. Und ein kleines rotes Loch in der Brust, das ihn getötet hatte.

2
    Eintauchen in ein Gefunkel nächtlicher Lichter, am Himmel die Sterne, links die dunkle Silhouette des Vesuv, dann das Gelände der AGIP; heruntergeschobene Zugfenster, im Schneckentempo in die Bahnhofshalle, und dort steht Livia, rufend, winkend, lachend – so in etwa hatte Marlen sich ihre Ankunft vorgestellt.
    Wie der Mensch sieh täuschen kann. Lektion Nummer soundsoviel: Hier ist alles anders als du denkst, und wenn du denkst, du hast dich darauf eingestellt, läuft es wieder anders, oder: ein Hoch auf die Improvisation. Marlen starrte durch das Busfenster, innen beschlagen, außen mit Regentropfen besprenkelt, und wischte mit der Handkante über die Scheibe. Neapel sehen und sterben. Eine hauchdünne Schicht aus kondensiertem Atem bedeckte das soeben freigewischte Loch. Vorbei Goethes Zeiten, in denen man Neapel sah und sich selig zur allerletzten Ruhe begab. Zum Glück. Leider. Noch eine Lektion: Die Extreme liegen näher beieinander, als man glaubt, oder: ein Hoch auf die leibhaftigen Gegensätze. Für heute reichte es. Nach knapp zwanzig Stunden Fahrt hatte sie sich etwas anderes gewünscht als ausgerechnet einen Stromausfall. Ab Formia war nichts mehr vorangegangen wegen des Unwetters. Keiner der Mitreisenden hatte eine Ahnung, wie oder wann es weitergehen würde, man arrangierte sich, redete, las, aß, strickte, schimpfte, schwieg, schlief. Dann ein Aufschrei, » a carreggrazia! «, ein Wunder: Die Eisenbahngesellschaft hatte in kürzester Zeit zwei Sonderbusse bereitgestellt, die alle Fahrgäste nach Neapel bringen würden, gleichgültig, ob das ihr Fahrziel war oder nicht.
    Kurz nach Mitternacht stand Marlen also auf dem Platz vor der Stazione Centrale. Es regnete noch immer. Längst fuhren keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Die Taxischlange vor dem Bahnhofsgebäude saugte gierig einen Reisenden nach dem anderen auf, während Marlen die Vorhalle betrat, in der vereinzelt Penner auf plattgetretenen Kartons lagen und schliefen. Von Livia keine Spur, sie mußte wieder nach Hause gefahren sein. Was wiederum kein Wunder war, denn Marlens Zug hätte laut Fahrplan bereits vor über drei Stunden eintreffen sollen. Die Bar war bereits geschlossen, und von den drei Telefonen in der Vorhalle funktionierte nicht ein einziges, herausgerissene Schnüre, tote Leitung. Großartig, dachte Marlen halb grimmig, halb amüsiert, und: Livia, ich komme, auch ohne Zug, ohne Telefon, ohne Bus, aber ich komme.
    Draußen ließ soeben das letzte gelbe Vehikel den Motor an und verschwand in die Nacht.
    »Da kommt heute kein Taxi mehr, Signorina«, nuschelte ein älterer Mann hinter ihrem Rücken, die erloschene Zigarette zwischen den Zähnen. »Kommt kein Zug an, fährt auch keiner ab. Un tempo della madonna! « Er deutete ein Lachen an und wies mit der Hand auf eins der heruntergekommenen Bahnhofshotels.
    Währenddessen ging von der Seite ein weiteres Angebot ein. » Vuoi un passaggio? Dove devi andare, ti ci porto io, davvero, no problem! « Der Eifer in der Stimme verriet die Absicht. Marlen sah sich nicht danach um, wie das männliche Wesen aussah, das sich da so großzügig gab. Grazie , lieber ging sie zu Fuß.
    Nicht daß sie etwas gegen Männer hatte. Im Gegenteil. Aber sie suchte sich Ort, Zeit und Mann doch lieber selbst aus. Vielleicht konnte sie von einem der Hotels aus telefonieren. Also, hinaus, vom Regen in die Traufe. Sie nahm die Reisetasche, kam vielleicht zehn Meter weit. Wieder ein Hupen. Unbeirrt ging sie weiter. Per la madonna , wie aufdringlich! Und wenn es Livia war? Sie zögerte, wollte sich umdrehen, sah dann
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