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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel
Autoren: Eva Bellin
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kleinen Einsatz machte, um den Gegner anzulocken, dann langsam erhöhte und, wenn für ihn schon viel auf dem Spiel stand, richtig zuschlug. Poker hatte Richard früher gern und erfolgreich im kleinen Kreis gespielt, um relativ geringe Summen. Er hatte Talent dafür. Später gab er es auf. Es paßte nicht zum jungen Boß, nicht zu dieser hanseatischen Familie, auch nicht zu dem Mann, der er jetzt war. Der zockte nicht die Nächte durch bei Bier und Zigaretten. Doch der Wagemut und die Kaltblütigkeit hatten ihn trotzdem nicht verlassen. Diese Pokerpartie würde Richard Hornung gewinnen. Yes. Sir!
    Zehn Minuten war er gegangen, vorbei an wenigen Häusern mit einzelnen beleuchteten Fenstern. Dies waren nicht die Häuser junger Familien, die alle Räume nutzten. Hier zog sich ein Paar oder ein alter Mensch jeweils in sein Wohnzimmer oder in sein Schlafzimmer zurück. Allenfalls werkelte die Frau in der Küche, und der Mann saß schon vor dem Fernseher.
    Ja, und nun? Es mochte ein einzelner Erpresser, es konnte aber auch eine ganze Horde sein. Sie könnten ihn eventuell zusammenschlagen, ihm das Geld abnehmen. Jedenfalls sahen sie dann seinen guten Willen. Er hatte das Geld dabei. Und nur deshalb, aus diesem einzigen, nicht wirklich kalkulierbaren Grunde, hatte er es besorgt und eingepackt. Er hatte nicht vor, es zu übergeben, wenn es sich vermeiden ließ.
    Richard war auf der Höhe einer Bank, wie sie hier in Abständen für Spaziergänger aufgestellt waren. Es war nicht dunkel, aber doch schon mehr als dämmerig. Aus dem Gebüsch, das sich mit wenigen Unterbrechungen am Ufer hinzog, tauchte eine spillerige Figur auf. Sollte das wirklich …? Die armselige Figur taperte näher. Mit offenbar verstellter Stimme fistelte sie:
    »Hergeben. Damit ist alles erledigt. Ehrenwort.«
    Ehrenwort! Ein Erpresser gab sein Ehrenwort! Nur kein Mitleid haben.
    Richard senkte den Kopf und schob die Tasche ein Stückchen dem Erpresser entgegen. Der tat einen zaghaften Schritt und streckte die Hand aus. Gleichzeitig trat Richard energisch vor. Der Lauf seiner Waffe traf auf die Brust des anderen.
    Dieser Knall! So laut! Der Schuß war viel lauter, als er gedacht hatte. Er hallte über den See hin. Ein Hund bellte irgendwo in der Nachbarschaft.
    Richard stieß den Kerl mit der Waffe vor die Brust. Der strauchelte und sackte zusammen. Nein, doch nicht so dicht neben der Bank! Als Fundstück für den ersten, der vorbeikam.
    Richard zerrte den Körper hinter einen Strauch. Es war gar nicht einfach, wenn man sich selbst dabei nicht derangieren wollte. Er war nicht sicher, ob der Kerl tot war. So entschloß er sich, das Risiko einzugehen: Er setzte die Makarow an dessen Schläfe und drückte noch einmal ab.
    Mehrere Köter bellten auf den Grundstücken. Richard durchsuchte eilig die Taschen des Kerls. Er schaute ihn an. Der trug einen Oberlippenbart, schien jung zu sein. Ein Fahrrad lag ein Stück weiter im Gebüsch. Ein Irrer! Das hatte er nun davon.
    »Bleib man schön hier«, murmelte Richard. Der Kerl war tot. Das überlebte niemand. Hornung steckte die Waffe zurück in seine Gürteltasche und klemmte die Tasche mit dem Geld unter den Arm wie ein kleiner Angestellter, von der Arbeit nach Hause strebend, ein Wachmann vielleicht.
    Er ging den Weg zurück. Niemand schaute nach, was die Schüsse wohl bedeutet haben mochten. Das war ja typisch. Man mischte sich nicht ein. Schüsse, Alarmsirenen, Hilferufe – bloß nicht auffallen. Heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd and're an!
    Er traf keine Menschenseele. Später fuhr ein Auto an ihm vorbei, und er trat vorsichtshalber hinter einen Baum, obwohl diese Gegend schon wieder ganz unverfänglich war. Man wußte nie.
    Unbemerkt, soweit er das beurteilen konnte, erreichte er den Wagen. Mühelos schloß er auf, öffnete die Tür, stieg ein und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Er wollte den Zündschlüssel einstecken. Es war nicht möglich. Seine Hände zitterten.
    Er zitterte am ganzen Körper. Sein Kopf sank auf das Lenkrad. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er hatte einen Menschen getötet.
    Er hatte gemordet. In Notwehr sozusagen. Aber war es das wert? Ja, es war richtig. Er oder ich. Er hat angefangen.
    Er nahm sich zusammen. Das fiel doch auf, was er hier tat. Haltung! Er drehte den Startschlüssel. Der Motor sprang an. Jawohl, es ging. Tief atmen, keinen Fehler machen. Du mußt damit fertig werden. Er oder ich. Wie ein Refrain gingen diese Sätze immer wieder durch Richards Kopf,
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