Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
heute keine Rede sein. So, nun lauf. Und, um Himmels willen», rief sie Fenna nach, «wasch dir den Tintenfleck ab, oder soll dein Rotrock dich für einen Blaustrumpf halten? Das wird er nicht mögen. Überhaupt nicht.»
    ‹Wäre aber gar nicht schlecht›, dachte sie und lauschte den treppab eilenden Schritten nach. ‹Gar nicht schlecht.›
    Noch war es nicht zu spät. Wie hatte Monsieur Herrmanns dieser Verbindung nur zustimmen können? EinGärtner! Immerhin kein Zwiebelbauer, sondern Mitbesitzer eines anständigen Handelsunternehmens. Das galt allerdings eher für den jüngeren Bruder. Elias Malthus hätte überhaupt besser gepasst, so ein angenehmer ernsthafter Mann ohne jede Attitüde. Langweilig, hatte Fenna gesagt, schrecklich langweilig. Ob aus Viktor je ein solider Kaufmann werden konnte, wusste der Himmel. Er hatte ein anderes Handwerk gelernt, dass er sich aufs Rechnen verstand, glaubte sie nicht. Und ein guter Ehemann? Als Junge war er auf und davon, bei Nacht und Nebel, egal, was er seinen Eltern damit antat. So einer verschwand auch gern, wenn ihm die Ehefrau nicht mehr frisch genug erschien.
    Eine quälende Nacht lang hatte sie gegrübelt, ob sie Fenna oder gar deren Vormund berichten solle, was sie erfahren hatte. Böser Klatsch, hatte sie gedacht, bis sie es selbst gesehen hatte. Man hörte von solchen Dingen, und junge Männer mussten sich die Hörner abstoßen. Es mochte auch sein, dass grüne Jungen es ab und zu mit dem Gesetz nicht so genau nahmen, über die Stränge zu schlagen gehörte zum Erwachsenwerden. Doch alles hatte Grenzen. Und Viktor Malthus war nicht mehr jung, sondern dreißig Jahre alt, und zwischen Kopenhagen und Wien und in all den Kriegen, in denen er sich herumgetrieben hatte, musste mehr als genug Zeit und Gelegenheit für solche Sperenzien gewesen sein. Wenn es nur Sperenzien waren.
    ‹Ach, Kind›, dachte sie und stieg steif die Treppe hinunter, ‹so stolz und so klug und fällst auf dieses fatale Glitzern in den Augen herein wie jede andere.›
    Thea hatte ihren Schützling für klüger gehalten, für weniger töricht. Trotzdem, sie würde schweigen. Und gut Acht geben.
     
    Die Torwachen hatten das Horn des Postillions schon von weitem gehört und die Kutsche, wie es Vorschrift war, schnell passieren lassen. Nun kam sie in den engen Straßen nur mit Mühe vorwärts, der Postillion tat seine Pflicht und blies immer wieder ins Horn, doch wie stets, wenn sich der Tag neigte, schien die ganze Stadt unterwegs zu sein, besonders vor den Brücken, zumeist noch schmaler als die Straßen, stauten sich Wagen, Karren und Fuhrwerke. Am schlimmsten waren die Sänftenträger. Immer in Eile, drängten sie sich, mit lauten Rufen Platz fordernd, in jede Lücke, es war ein Wunder, dass nicht alle Tage einer der Männer unter Räder oder Hufe geriet.
    Doch endlich war das Ziel, die Poststation bei der Hohen Brücke am Hafen, erreicht. Der Kutscher streckte seine steifen Glieder und kletterte vom Bock. Erst jetzt spürte er seine Müdigkeit. Bis auf die kurze Zeit, für die er dem Postillion die Zügel überlassen hatte, bis auf die Momente, in denen er dösend die Pferde sich selbst überließ, hatte er seit Braunschweig keinen Schlaf gehabt, wohl an die vierzig Stunden.
    «Wir sind da», rief er dem Mädchen zu, das, die Hände noch fest um die Tasche in ihrem Schoß verschränkt, reglos sitzen blieb. «Weiter geht’s nur zu Fuß. Oder soll ich Euch eine Sänfte rufen?»
    Das mit der Sänfte war ein Scherz, sie würde kaum Geld für überflüssige Bequemlichkeiten ausgeben können. Sie sah ihn ernst an, schüttelte langsam den Kopf und stieg immer noch nicht ab. Sie sah auf das Pflaster hinunter wie auf unsicheres Eis. Er hätte gerne gewusst, warum sie nicht, wie es bei allen anderen Reisenden das Gewöhnliche war, nach langer Fahrt so rasch wie möglich die unbequeme Kutsche verließ. Bis er das Gepäck und den Korb mit der Post abgeladen hatte, mochte sie bleiben, wo sie war.
    Als sie sich der Stadt genähert hatten und die alten Festungswälle in Sicht kamen, das sie überragende Meer roter Dächer mit den Leuchttürmen gleichenden kupfergrünen Kirchturmspitzen, hatte sie doch gesprochen: «Welcher Turm gehört zu St.   Michaelis?»
    «Keiner», hatte er geantwortet. «Die Michaeliskirche ist vor Jahren abgebrannt, ein böser Blitz und aus war’s. Die neue Kirche hat noch keinen Turm, dafür hat das Geld nicht gereicht. Aber in ein paar Jahren   …»
    «Und St.   Petri?»,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher