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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller
Autoren: Petra Oelker
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des
Schwarzen Adler
einfinden. Es war angenehm und einträglich, mit einem Mann zu spielen, der ängstlich jedes Risiko mied und auch sonst berechenbar blieb. Vor allem aber hoffte er, dann mehr über dessen geheimnisvolle Mischung von Alpenkräutern zu erfahren, aus denen sich ein Elixier brauen ließ, das das Leben wenn auch nicht endlos machte, so doch erheblich verlängern konnte. Bei guter Gesundheit. An diesem Abend hatte Westmeyer, der sonst für seine Geschwätzigkeitberüchtigt war, nicht mehr als einige vielversprechende Andeutungen preisgegeben.
    ‹Jajaja›, dachte Hecker, ‹das ist das Beste: bei guter Gesundheit.›
    Und das war das Letzte, was er in dieser Nacht in zusammenhängenden Sätzen dachte. Es war nicht mehr weit bis zu seinem Haus in der Petritwiete, kaum mehr als zwanzig, in Anbetracht seines ziemlich unsicheren Ganges vielleicht dreißig Schritte, als er sich von kräftigen Händen mit einem Ruck in die Schwärze einer Toreinfahrt gezogen fühlte. Sein empörter Schrei erstickte in einem Lappen, der seinen Mund füllte und verschloss, und dann – was dann folgte, ging in einem Übelkeit erregenden Schwindel verloren. Bis ihn ein Schwall kalten Wassers wieder munter machte, stinkiges Wasser aus einem Fleet; bis der Knebel herausgezogen wurde und er, ehe er auch nur den Versuch machen konnte, um Hilfe zu schreien, gezwungen wurde, noch mehr Wein zu trinken. Wein? Nein, es war Bier, ein schales, saures Gebräu, er schluckte und spuckte und schluckte in panischer Angst, bis es wieder leer in seinem Kopf wurde, dumpf und schwarz, und er dachte, nun werde ihm auch kein Wunderelixier mehr zu einem biblischen Alter verhelfen können.
     
    Als der Morgen graute und die Glocken zum Frühgottesdienst riefen, eilte der zweite Prediger von St.   Petri die enge Treppe im dritten Pastorenhaus hinunter, nur ein hastiges Gebet verhinderte, dass er über den Talar stolperte und sich den Hals brach. Ein kleines Gebet half eben immer, sogar wenn er verschlafen hatte. Das hatte ihm ausgerechnet heute passieren müssen, da der erste Prediger mit einer Missstimmung der Galle niederlag und er die unverhoffte Ehre hatte, ihn zu vertreten.
    Der Glockenschlag verlangsamte sich, just als er die Tür zur Sakristei aufstieß. Er hatte es geschafft, mit dem Verklingen des letzten Tons würde er vor den Altar treten, so wie es sein musste.
    «Ich bin ja schon da», wehrte er den Küster ab, der ihm händeringend entgegenstürzte, «ich bin ja schon da. Nein, jetzt keine Debatte, Rubhoff, später, nun wartet die Gemeinde.»
    Ärgerlich schüttelte er die nach seinem Talar greifende Hand des Küsters ab und öffnete die Tür zum Kirchenschiff. Wie erhebend wäre es, erklänge jetzt die mächtige Stimme der Orgel. Er liebte Musik, und die Orgel von St.   Petri war weithin berühmt, doch leider gehörte der Frühgottesdienst einzig dem Wort und der stillen Andacht.
    Abrupt blieb er stehen. Von Andacht konnte an diesem Morgen keine Rede sein. Die Gemeinde, sie war größer, als er erwartet hatte, saß nicht über ihre Gebete gebeugt in den Bänken, die Männer und Frauen, auch einige Kinder waren darunter, standen vor den Stufen des Altars wie vor einer Jahrmarktsbude und starrten stumm auf etwas, das er nicht sehen konnte.
    «Was ist hier los?», rief er streng, allerdings klang es nach nicht viel mehr als einem Piepsen. Niemand wusste, dass er sich vor Menschen fürchtete, wenn es mehr als zwei waren und sie ihm näher als sechs Fuß kamen – was für einen Seelsorger und Mann Gottes höchst hinderlich war. «Was ist hier los?», wiederholte er. «So setzt euch doch, ich bin nun bei euch.»
    Endlich bemerkte ihn jemand, ein Schubsen und Raunen ging durch die kleine Menge, und die Menschenmauer öffnete sich. Aber sie gingen nicht weg, setzten sich nicht in ihre Bänke. Warum gingen sie nicht endlich weg?
    Seine Augen folgten ihren Blicken, und was er sah, erschienihm wie der schlimmste Albtraum. Was für ein Sakrileg!
    Direkt vor dem Altar lag ein Mann, Rock und Weste beschmutzt von Erbrochenem, die Beine gespreizt, die Hände über dem dicken Bauch gefaltet, und darunter, darunter – darunter war der Körper nackt. Bis zu den nicht mehr ganz weißen Strümpfen. Und dort!, an dieser besonderen Stelle des Körpers, die ein anständiger christlicher Mann selbst im ehelichen Schlafgemach nur in der Dunkelheit und so selten wie zum Erhalt einer Familie nötig unter der Decke entblößte, leuchtete im frühmorgendlichen
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