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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller
Autoren: Petra Oelker
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vorgerecktem Kinn davonmarschierenden Mann nach, Viktor lachte unbekümmert. «Noch einer, dem eine Laus über die Leber gelaufen ist.»
    «Ja.» Elias neigte abwägend den Kopf. «Allerdings eine sehr konkrete. Das war Rutger Ermkendorf. Erinnerst du dich nicht an ihn? Seine Familie hat ihren Hof auf Spadenland. Als wir Jungen waren, hat er, wann immer er auf dem Hof seiner Eltern zu entbehren war, in unseren Gärten gearbeitet. Bis er zur See gefahren ist. Ich habe ihn einige Zeit nicht mehr gesehen, aber er ist unverkennbar, trotz des Bartes. Du musst dich doch erinnern. Er verstand sich gut auf unsere Arbeit, besser als all die anderen, die hin und wieder aushalfen.»
    Viktor erinnerte sich nicht. Es war so lange her, und da waren so viele gewesen, die in den Gärten arbeiteten und kamen und gingen.
    Aber er wusste, was Spadenland bedeutete. Als die Flut endgültig drohte, die Schleusen am Deichtor zu sprengen und in die Stadt einzudringen, hatte der Rat beschlossen, den gemeinsamen Deich von Ochsenwerder, Tatenberg und Spadenland durchstechen zu lassen, damit das Wasser Raum fand, abzufließen. Es war geglückt, die Stadt war verschont geblieben. Und die drei Gemeinden waren unter der Flut verschwunden. Sie dienten vor allem als Weidenfür Rinder und Schafe, nur einige kleine Höfe duckten sich hinter dem Reet. Ein geringes Opfer, wenn man die Verheerungen dagegen aufrechnete, die das Wasser in der Stadt angerichtet hätte.
    Die, denen die Höfe und die nun für lange Zeit verschlammten und sauren Wiesen gehörten oder die sie gepachtet hatten, waren anderer Meinung. Und viele mit ihnen. Immer noch wurde darüber gestritten, ob die Deichdurchstiche nötig gewesen waren, schließlich hatte das Wasser schon begonnen zu sinken, als sich die Männer mit den Schaufeln an die Arbeit machten; dass es während dieser schrecklichen Wochen häufig gesunken war, nur um in der nächsten Nacht wieder bedrohlich zu steigen, wollten sie nicht gelten lassen. Manche sagten, die Deiche seien nur so rasch durchstochen worden, damit das Wasser die überschwemmten Lustgärten der reichen Hamburger schneller wieder freigab und bisher verschonte nicht erreichte.
    «Spadenland», murmelte Viktor, «deshalb also.»
    «Ja. Die Ermkendorfs hat es schlimm getroffen. Sie können in diesem Herbst die Pacht nicht bezahlen, es heißt, sie seien endgültig bankrott.»
    Viktor murmelte ein Bedauern, schnalzte und lenkte sein Pferd in den Tordurchgang. Die Menschen, dachte er, waren unvernünftig. Der Beschluss des Rats war hart, aber der einzig richtige gewesen. Doch warum traf der Zorn dieser Leute ihn und seine Männer? Rutger Ermkendorf war nicht der Erste, der ihn das spüren ließ. Er hatte nur die Kompanien befehligt, die bei den Deicharbeiten halfen und die Bauern in Schach hielten, die die eingerissenen Lücken wieder zuschaufeln wollten. Er hatte seine Pflicht getan, sonst nichts. Warum zielte die Wut nicht auf den Rat oder gar auf Baumeister Sonnin, der diese Aktion berechnet und für die Stadt empfohlen hatte? Immerhin trautesich der Vogt, der die Deiche vor dem Herannahen der Flut untersucht und für sicher befunden hatte, nicht mehr ohne die Begleitung seiner Knechte unter die Leute. Allerdings hatte die Flut seinen Hof als einen der ersten und mit noch unverbrauchter Wucht getroffen. Die meisten fanden, das sei Strafe genug.
    «Warum war der Kerl wohl so durchnässt?», fragte Viktor, als sie das Tor passiert hatten, Elias wieder neben ihm ritt und sie ihre Pferde durch das übliche abendliche Gedränge auf den Straßen lenkten. «Wie heißt er? Rutger, ja. Und was trug er bei sich? Es sah nach einem ordentlichen Knüppel aus.»
    «Du hast viel vergessen, seit du uns und die Nähe zur Küste verlassen hast.» Elias blinzelte ihm spöttisch zu. «Warum seine Jacke so nass war, weiß ich auch nicht. Aber was er über der Schulter trug, sah mehr nach einer Harpune als nach einem Knüppel aus. Die Spitze war mit Tuch umwickelt», erläuterte er auf Viktors fragenden Blick, «hast du das nicht gesehen? Rutger fährt als Harpunier auf den Grönlandfahrern. Wenn du mehr wissen willst, frag im
Bremer Schlüssel
. Jakobsen, die alte Landratte, weiß von jeher alles, was im Hafen passiert und geredet wird, und als guter Wirt gibt er immer gerne Auskunft. Aber es ist seltsam, dass Rutger schon da ist. Gewöhnlich kommen die Grönlandfahrer viel später im Jahr zurück. Rutger muss auf der
Fortuna
gefahren sein. Die musste bald wieder umkehren
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