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Der Toeter und andere Erzaehlungen

Der Toeter und andere Erzaehlungen

Titel: Der Toeter und andere Erzaehlungen
Autoren: Veijo Meri
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das Gesicht unter den Augen wegschießen, und das ganze ist nichts als Pulververschwendung. Es gibt Stellen im Kopf, an denen ein Einschuß nicht tötet. Aber er kannte alle Finessen seines Fachs, den Bau des menschlichen Schädels aus dem Effeff. Wenn eine Kugel nicht schlagartig tötete, hatte er versagt, und der Tag war verdorben. Der fortwährende Schmerzensschrei war für ihn beschämend. Nichts weiter wurde von ihm verlangt als die vollkommene Leistung. Einem Mann Glieder und Organe außer Betrieb setzen kann jeder Stümper. Der augenblicklich erfolgende absolute Tod kommt selten vor, so selten, daß viele glauben, so etwas gäbe es gar nicht. Jemand, der auf der Stelle tot ist, hat keine Gelegenheit mehr, einen Laut von sich zu geben, die Glieder versagen der angefangenen Bewegung den Dienst.
    Die letzten fünf Tage hatte er niemand erwischt. Dermaßen vorsichtig war der Gegner geworden. Seine Scharfschützentätigkeit auf diesem Frontabschnitt war beendet. Die Verlegung an einen anderen Abschnitt stand ihm bevor. Länger als eine Woche hielt er sich selten in derselben Gegend auf. Er hatte ein Betätigungsfeld, das sich über zwanzig dreißig Kilometer erstrecken konnte, je nachdem wie begehrt er war.
    Ohne auch nur einen Schuß abgegeben zu haben, zog er sich bei Anbruch der Nacht vom Moor zurück. Aus dem Fluß stieg Nebel auf, wie aus einer tiefen Kluf, und wälzte sich über die Moorblöße zum Wald hin. Wie ein bläulicher Rauchflecken inmitten weißen Strohfeuerrauchs bewegte er sich in der Richtung fort, ebenso langsam wie der Nebel. Die in ihren Unterständen eingemieteten Landser sahen, wie er vorüberging. Sie trauten sich nicht, ihm mit Fragen zu kommen, und die Unterhaltung brach ab, als hätte ihnen jemand einen Reißnagel in den Gaumen gedrückt. Nur ein Leutnant der Infantrie schloß sich ihm auf dem Pfad an, um ihm eine Zigarette anzubieten, aber er war kein Raucher. Der Leutnant fing an, ihm von dem MG-Nest zu erzählen, aus dem sie Seitenfeuer bekommen hätten, und das ihm große Verluste gebracht hätte. Er wiederholte jeden Satz und redete ununterbrochen. Der Feind läge auf der Anhöhe gegenüber, hoch über dem Flußufer. Seine Männer lägen unten auf dem flachen Moor. Alle Flußufer auf der Westseite wären hoch wie Berge, und überall auf der Ostseite gäbe es Moor. Gott hätte sich gedacht, daß hier ein Reich verkehrt herum entstehen solle … Sie kamen zur Schneise. Der Streifen Tageslicht brachte das weiße Gesicht des Leutnants und seine flatternden Augen zum Vorschein. Sein Mund und seine Augen kamen nicht zur Ruhe. Er erklärte, daß er mit sieben Jahren auf dem Eis eingebrochen sei. Seitdem habe er das dauernde Augenzucken. Er wisse nicht genau, worauf das zurückzuführen sei, aber er glaube, das eisige Wasser habe ihm die Augen verdorben. Er sei nachtblind, sehe nichts … Der Leutnant bot, als sie am Ziel waren, wo der Kradfahrer wartete, Schokolade an, aber der Scharfschütze schwang sich, ihm den Rücken kehrend, auf den Soziussitz, und setzte den Büchsenkolben auf die Fußraste. An der Büchse gab es keinen Riemen. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß ein Riemen nur hinderlich ist, obgleich die Gewehrschützen auf Riemen und stramme Lederjacken als Rückhalt beim Visieren schwören. Aber das war mehr etwas für Federwildjäger, für stehend freihändiges Schießen. Die Büchse war nicht auf dem Rücken zu tragen, er mußte sie in der Hand behalten. Als der Fahrer auf den Kickstarter trat, knatterten im Wald hundert Maschinen gleichzeitig los. Die fuhren da im Gestrüpp neben ihnen her, wie eine riesige Eskorte.
    Der Scharfschütze war in einem fünfzehn Kilometer weit im rückwärtigen Gebiet gelegenen Dorf untergebracht. Jeden Morgen, ehe es hell wurde, wurde er von einem Kradfahrer in die vorderste Linie gebracht und dort jeden Abend, wenn es dunkel wurde, wieder abgeholt. Er hatte ein eigenes Zimmer im Kasinogebäude neben den vom Regimentsstab belegten Räumen. Dort lag er nachts in einem richtigen Bett, und dort nahm er sein Essen ein, das ihm der Chauffeur aufs Zimmer brachte. Er erhielt Offiziersverpflegung mit einer Extrazulage. Als er sich beim Bataillon zum täglichen Rapport meldete, den er telefonisch durchgab, kam der Kommandeur auf das MG-Nest zu sprechen, das dem Bataillon große Verluste gebracht habe. Es sei kein Befehl, aber er bitte darum, das MG außer Gefecht zu setzen oder es in Schach zu halten.
    Der Scharfschütze sagte, er habe das MG
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