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Der Toeter und andere Erzaehlungen

Der Toeter und andere Erzaehlungen

Titel: Der Toeter und andere Erzaehlungen
Autoren: Veijo Meri
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herangetragen hatte. Die Gewehrkugeln peitschten das Wasser, prallten am Wasser ab und schlugen in der Böschung am gegenüberliegenden Ufer ein; sie schlugen dicht vor ihm weiße Stempelmarken in die dunklen Floßhölzer. Er sah einen um einen Stamm geschlungenen Arm, aber der Arm war im selben Augenblick wieder verschwunden.
    Die Strömung war stärker und rascher als die im Fluß treibenden Stämme erkennen ließen. Der Leutnant war am nördlichen Geländeabschnitt seiner Kompanie ins Wasser gesprungen, und die Strömung hatte ihn bereits dicht unter das MG-Nest abgetrieben. Unglaublich, wie schnell und weit ihn der Fluß nach jedem Untertauchen mit sich fortriß. Zwischendurch ruhte er sich, nur das Gesicht über Wasser haltend, hinter einem der Floßhölzer aus. Die Hand, mit der er sich festklammerte, verriet ihn, aber sobald ihm die Kugeln um die Ohren zu pfeifen begannen, tauchte er wieder unter. Obgleich es Tag war, waren die Flugbahnen der Leuchtspurgeschosse deutlich zu erkennen. Die aus den tiefergelegenen Stellungen abgefeuerten Geschosse hatten zu wenig Durchschlagskraf, sie sprangen an der Wasseroberfläche auf, zurück in die Luf. Erst als der Schwimmer am gegenüberliegenden Ufer aufauchte und an Land stürzte, erkannte ihn der Scharfschütze an der blonden, langen Mähne, denn der gewöhnliche Landser war kahlgeschoren –, und irgendwie auf Grund eines Gesamteindrucks; der Mann war nackt. Er tauchte dermaßen schnell wieder im hohen Ufergras unter, daß es unmöglich war, sich die Stelle zu merken, wo er verschwunden war. Die in der Böschung einschlagenden Gewehrkugeln wirbelten hier und da vom Blick kaum einzufangende winzige Staubwölkchen auf. Der Leutnant schien genau kalkuliert zu haben. Erst als der Scharfschütze nicht mehr auf seinem Geländeabschnitt erschienen war, hatte er sich getraut, und gleich so als könnte ihm keiner mehr etwas. Als sich der Überläufer am Abhang aufrichtete, war der Scharfschütze der einzige, der ihn bemerkte. Er lag knappe zweihundert Meter von ihm entfernt. Die nächste Infanterie-Stellung lag dreihundert vierhundert Meter weiter zurück, abseits der Schußlinie. Der Leutnant bewegte sich in langen Sätzen wie ein Bergtier auf vier Beinen auf sein Ziel zu. Er war auf dem sandigen Abhang durch seine Hautfarbe so vollkommen getarnt, daß nur die immer wieder gleichbleibend schnell aufsteigende Staubspirale seinen Fluchtweg verriet. Der Scharfschütze reagierte blitzartig. Er richtete sein Zielfernrohr auf die Horizontlinie des Abhangs und wartete. Vor der Flinte im Glas drei feindliche Schützen und den MG-Stand. Eins der Gesichter mitten im Fadenkreuz. Alle drei Schützen vom Scheitel bis zum Koppelschloß direkt im Visier! Überall, auch weiter entfernt auf den Flanken, tauchten die Männer hinter ihren Verschanzungen auf, um den Ablauf des Geschehens zu verfolgen. Der Überläufer steigerte sich bei zunehmender Erschöpfung bis zur Raserei, sein rhythmisches Aufrüllen klang gedämpf über den Fluß herüber. Als er oben am Hang zum Sprung ansetzte, um hinter der Kammlinie zu verschwinden, war für den Scharfschützen der Augenblick gekommen. Trotz seiner rasenden Geschwindigkeit schien der Überläufer für die Dauer eines meßbaren Augenblicks auf der Stelle zu erstarren, er zeichnete sich klar gegen den wolkigen Himmel ab.
    Oben die Männer, wie vom Schlag gerührt, begannen automatisch nach der Stelle zu suchen, woher die Kugel gekommen war. Wer hatte den Überläufer zur Strecke gebracht? Etwa einer aus den eignen Reihen. Dem Knall nach mußte die Kugel ganz aus der Nähe kommen. Ihr Verdacht richtete sich auf das vor ihnen liegende Moor in der Flußniederung, aber auf dem Moor war nichts zu entdecken. Es war ungerecht, daß einer, der sich so am hellerlichten Tag selber verraten und verkauf hatte, nicht mit dem Leben davonkommen sollte. Zehn Minuten hatte er gebraucht um flußabzupaddeln und am Ufer herumzuspringen, und im letzten Augenblick, auf dem Sprung hinter den schützenden Wall, wo das Schützenloch ihn auffing, am Ziel …
    Huttunen, einer der Männer auf dem Wall, sank, an der Stirn getroffen, rücklings ins Schützenloch. Die anderen starrten aufs Moor hin, woher der Schuß gekommen war. Der Knall schien sich weiter über den krummen Rücken der Moospolster zu halten. Hals über Kopf, so schnell sie konnten, ließen sie sich ins Loch zurückfallen; sie hatten begriffen: ein Scharfschütze! Aber Huttunen lebte noch.
    – Ich verrecke. Er
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