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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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fragte Laurenti.
    Der Mann nickte. »Sie waren etwas später dran als sonst. Als ich zum Meer runterkam, standen sie oben auf der Mole und schauten hinaus. Sie waren bewaffnet, das konnte ich genau erkennen, obgleich ich so getan habe, als hätte ich sie nicht bemerkt. Der Kutter liegt weit genug weg. Kurz darauf gingen sie eilig davon.«
    Laurenti zwängte sich aus dem Neoprenanzug und trocknete sich mit dem Handtuch ab, das Srečko ihm reichte. Sie tuckerten geradeaus aufs Meer hinaus.
    »Könntest du die Leute beschreiben?« fragte Laurenti, obwohl er wußte, daß es eine unnötige Quälerei wäre, ihm stundenlang die Kartei vorzublättern. Er winkte rasch ab und lachte. Die Leute auf dem Karst waren geprägt. In den letzten hundert Jahren hatten sie mehr Sicherheitskräfte gesehen, als alle anderen in Europa. Österreichische Gendarmen und Soldaten, Italiener, Faschisten, Gestapo, SS und Wehrmachtsoldaten, Tito-Truppen, Engländer, Neuseeländer, Amerikaner, wieder die Italiener – und weiß der Teufel wie viele Spione. Wen wunderte es da, daß sie sich gegenüber offiziellen Anfragen reserviert verhielten? »Dumme Frage. Vergiß es. Ich hab sie selbst gesehen.«
    »Einheimische sind das jedenfalls nicht«, sagte der Fischer. »Trink noch einen Schluck. Es erinnert mich an früher, als viele vom Schmuggel lebten. Übers Meer war es am einfachsten. Aber wehe, sie erwischten dich. Man zögerte nicht lange mit dem Schießen. Nicht so wie heute.«
    »Wie spät ist es?« Laurenti spürte den Alkohol bereits.
    »Kurz nach sechs. Ich fahr dich rüber. Die letzten Meter mußt du allerdings schwimmen, das Boot hat zuviel Tiefgang.« Er prostete Laurenti zu und packte Brot, ein Stück Salami und Käse aus. »Iß etwas. Wie lange warst du im Wasser?«
    »Knapp zwei Stunden.«
    »Das ist zu lang für diese Jahreszeit. Auch in deinem Anzug. Greif zu.«
    »Danke.« Laurenti ließ es sich nicht zweimal sagen.
    »Haben sie auf dich geschossen? Ich meine etwas gehört zu haben.«
    Laurenti schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie haben mich überhaupt nicht gesehen.«
    »Irgendwann hätten sie dich gefunden, wenn ich nicht gekommen wäre«, sagte der Fischer ohne falschen Stolz. »Ich oder ein anderer. Irgendwann wäre es dir zu kalt geworden und du hättest versucht, an Land zu kommen. Dann hätten sie dich erwischt.«
    »Ich habe weder ein Kennzeichen des Boots, noch weiß ich, wer die Leute sind. Sie sind nervös, das ist eindeutig.«
    »Trink«, sagte der Fischer. »Willst du ihre Autonummer?«
    Laurenti stieß den Becher um, als er sich hektisch aufrichtete. Der Wein floß über seine nackten Schenkel. Srečko schenkte nach, zwinkerte mit den Augen und nannte ohne Aufregung die siebenstellige Zahlen-Buchstabenkombination. Sie war einfach zu merken. Dann drosselte der Fischer die Maschine und ging für einen Augenblick ins Steuerhaus. Aus einer Plastiktüte zog er einen Branzino von fast vierzig Zentimeter Länge.
    »Ein Kilo achthundert Gramm. Frisch von gestern abend. Ich hab immer einen dabei. Wenn deine Kollegen die Papiere sehen wollen, macht sich ein kleines Geschenk meist ganz gut. Ich will ja nicht behaupten, daß sie es direkt erwarten. Aber eine freundliche Geste wird gerne gesehen. Hier, nimm ihn, mach deiner Familie eine Freude. Aber sag nicht, woher du ihn hast. Sag, daß du ihn selbst gefangen hast. Jag ihm die Harpune durch die Kiemen, bevor du aus dem Wasser steigst. Ich muß mich jetzt um meine Canoce kümmern.« Die Meeresheuschrecken, die hier so hießen, waren ein beliebtes Gericht: gegrillt, gratiniert, gekocht. »Ich hab die Reusen draußen, es wird Zeit.«
    Es wäre unhöflich gewesen, ein solches Geschenk abzulehnen. Dieser wunderbare alte Mann hatte sich längst als warmherziger und großzügiger Freund erwiesen. Laurenti fühlte sich trotz seiner fünfzig Jahre wie ein kleiner Junge, als er sich bedankte. Dann ließ er sich ins Wasser hinabgleiten und schwamm mit seinem Fisch die letzten Meter zurück.

Bagnoli della Rosandra/Boljunec, bei Triest
    Der Hauptplatz von Bagnoli wirkte wie ausgestorben, nur ein paar wenige Fahrzeuge standen am Straßenrand. Eine vermummte Gestalt im Sattel eines Geländemotorrads, das im Standgas tuckerte, wartete in einer Einfahrt. Trotz der Hitze hielt sie das Visier des schwarzen Helms geschlossen. Zwei Hunde mit staubgrauem Fell lagen im Schatten auf der Straße, und man hörte die Stimmen alter Männer, die unter der Pergola vor der Bar der Partisanenvereinigung
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