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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten
Autoren: Veit Heinichen
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Sache. Aber wenn man ihn entdeckte, wäre seine Mühe umsonst gewesen und er hätte im Bett bleiben können und die verschlafene Frage seiner Frau, weshalb er so früh auf den Beinen sei, nicht mit einer Lüge beantworten müssen.
    Seine Atemluft reichte knapp aus, um direkt vor dem Wellenbrecher aufzutauchen. Wenn die Angaben des Fischers stimmten und die Männer tatsächlich jeden Morgen zur gleichen Zeit kamen, dann war er zu früh. Er mußte sich einen Platz zwischen den Felsen suchen und warten: Außerhalb des Wassers, um sich nicht zu unterkühlen. Er zog Maske und Schnorchel vom Kopf und verschanzte sich, so gut er konnte, zwischen den mächtigen Steinquadern des Wellenbrechers. Laurenti spürte die Müdigkeit wieder, gegen die er sich beim Aufstehen gewehrt hatte, doch bevor er ihr nachgeben konnte, hörte er Stimmen und, keine zehn Sekunden später, das gedämpfte Geräusch moderner großvolumiger Schiffsturbinen, kaum lauter als ein Summen, das schnell näher kam. Auf dem Schlauchboot, das jetzt sichtbar wurde und kurz darauf den Motor drosselte, standen zwei Frauen. Doch Laurentis Aufmerksamkeit galt vier athletischen Männern mit militärischem Haarschnitt, Jeans und bunten kurzärmligen Hemden, die trotz der Uhrzeit Sonnenbrillen trugen. Sie kamen die Treppe neben der »Bellariva« herunter und schleppten zwei große wasserdichte Plastikbehälter. Der Kies knirschte unter ihren Sohlen. Die zwei Frauen auf dem einfahrenden Schlauchboot mit dem Fiberglasrumpf, das ohne Kennung und Nationenflagge war, trugen Bikini und über den Schultern Windjacken.
    Laurenti duckte sich hinter die Felsen. Er sah, wie wenige Meter entfernt die zweite der Kisten an Bord gehievt wurde. Die Harpune auf seinem Rücken schlug, als er sich ein Stück aufrichtete, gegen den Fels, und gab ein metallisches Geräusch von sich, das in der Stille zu zerplatzen schien. Zwei der Männer drehten sich blitzartig um. Er hatte keine Zeit, um mit einem zweiten Blick zu überprüfen, ob es wirklich Pistolen waren, die sie in den Händen hielten. Hastig stülpte er sich die Tauchermaske über den Kopf und glitt ins Wasser. Er mußte rasch zur Muschelzucht zurück, zwischen deren Fässern er sich gut verstecken konnte. Dabei war er sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt gesehen hatten.
    Die Hektik kostete ihn wertvolle Atemluft. Zwanzig Meter vor der ersten Reihe mußte er hoch. Instinktiv drehte er sich um und sah gerade noch den hellgrauen Schiffskörper an sich vorbeischießen, der kurz darauf die Maschinen drosselte. Mit einem Blick erkannte er, daß die Mole inzwischen verlassen war. Laurenti tauchte wieder unter und suchte sich einen Platz inmitten der Muschelzucht, wo er sicher war. Eine Möwe flatterte erschreckt davon, als er auftauchte. Er nahm die Harpune vom Rücken und schaute sich vorsichtig um. Den schwarzen Kopf eines Tauchers im Gewirr von Fässern und Tauen von einem Schiff aus zu entdecken, war unmöglich. Laurenti sah das Motorboot hundert Meter weiter in der Dünung schaukeln. Kurz darauf war vom kleinen Hafen her das stampfende Geräusch eines beschleunigenden Schiffsdiesels zu vernehmen und der Bug eines Fischkutters schob sich hinter dem Wellenbrecher hervor. Das Schlauchboot nahm Kurs aufs offene Meer und verschwand bald als kleiner Punkt am Horizont.
    Er hatte gesehen, was er gesehen hatte – und wußte nicht, was es bedeutete. Die meisten der Personen hätte er zwar beschreiben und in der Kartei wiederfinden können, wenn sie registriert waren. Bis auf einen der Männer und das Allerweltsgesicht einer der Blondinen, die sich von Hamburg bis Split glichen wie ein Ei dem anderen. Sechs Personen im Mai in einer mysteriösen Aktion am idyllischen Hafen bei den Filtri, und das schon seit etlichen Tagen. Zwei davon gutgebaute junge Damen im Bikini. Zu einer Uhrzeit, zu der jeder andere auf See sich noch einen leichten Pullover überzog. Als Tarnung nicht sehr glaubwürdig. Das würde dem dümmsten Kollegen auffallen, der auf einem Schiff der Küstenwache oder der Polizia Marittima Dienst tat. Sie kontrollierten gerne diese attraktiven Damen, die sich irgendwo auf ihren Booten vor der Küste nahtlos bräunten und dabei ihre Erfahrungen mit der Schönheitschirurgie austauschten. Aber niemals so früh am Tag.
    »Wie lange warst du im Wasser?« fragte der alte Fischer besorgt, der ihn an Bord seines Schiffes gezogen hatte. »Hier, trink!« Er schenkte Weißwein in einen Plastikbecher.
    »Hast du jemand gesehen?«
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