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Der Tod macht Schule: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)

Der Tod macht Schule: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)

Titel: Der Tod macht Schule: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
Autoren: Dietrich Faber
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du, Gott, bist mein Schutz und mein gnädiger Gott.

    Gregor Assmann blickt von seiner Bibel auf und schaut hinab in die Gemeinde. Von nun an spricht er frei:
    «Dieser Psalm enthält nicht unbedingt die Botschaft, die ich in all den Jahren, in denen ich hier bei Ihnen Pfarrer sein durfte und manchmal auch musste, gepredigt habe. Diese sogenannten Rachepsalmen, die im Alten Testament zu finden sind, werden von uns Pfarrern meist gemieden. Lieber erzählen wir von einem neutestamentlichen Gott, vom gewalt- und rachsuchtfreien Jesus Christus, der in seiner Bergpredigt von Feindesliebe, Toleranz und Versöhnung spricht. Immer und immer wieder hörten Sie von mir die gleichen hübschen Wohlfühl- und Wellness-Bibelstellen aus dem Leben Jesu. Heute, liebe Gemeinde, scheiß ich da drauf. Heute gibt’s den Psalm 59.»
    Im Kirchenschiff kommt ein wenig Unruhe auf. Einige der Gemeindemitglieder zuckten beim Wort «scheiß» spürbar auf. Ich auch.
    «Was erzählt dieser Psalm? Der junge David hat Angst. Eine Scheißangst hat er!»
    Bei diesem zweiten «Scheiß» schreit eine ältere Dame von der letzten Kirchenbank erschrocken auf. Die Konfirmanden in den ersten Reihen beginnen standesgemäß zu kichern.
    «Dieser David ist zutiefst verzweifelt und ratlos. Seine Widersacher haben ihn bereits um Hab und Gut gebracht. Er wird weiter von ihnen verfolgt und mit dem Tode bedroht. Er fühlt sich schwach und hilflos. So wendet er sich in seiner Angst an einen scheinbar starken Gott und fleht um Rache. Er bittet Gott um die brutale Vernichtung seiner Feinde. Um nichts weniger.»
    Pfarrer Assmann umfasst den Kanzelrand und beugt sich vor.
    «Und an diesem Punkt schreien wir Christen auf. An dieser Haltung sei alles unchristlich, meinen wir. Das geht doch nicht …
    Aber natürlich geht das.
    Wenn ein junger Mensch an den Rand gebracht wird, von Stärkeren, wenn er bedroht wird, immer und immer wieder, wenn ihm Angst gemacht wird, dass ihm oder seiner Mutter etwas Böses zustoße, wenn er sich wehren sollte, dann bringt diesem jungen Menschen das Bild eines liebendes Gottes nichts. Überhaupt gar nichts. Und wenn ich der Vater dieses Jungen wäre, und ich würde seinen Widersacher vor mir haben, dann würde ich ihm nicht verzeihen. Ich würde ihn hassen. Ich würde sogar Gott um Rache bitten. Doch Gott wird vielleicht gar nichts rächen. Was dann?»
    Hier macht Pfarrer Gregor Assman eine lange Pause. Die Kanzel umklammert er weiterhin fest mit seinen Händen. Ich wusste es. Mein Herz schlägt spürbar schneller. Ich lag richtig mit meinem Verdacht. Unfassbar.
    Dann fährt er fort.
    «Dann, ja dann würde ich mich selber an ihm rächen. Wenn ich der Vater eines Jungen wäre, dem so zugesetzt würde, dass er vor lauter Angst nicht mehr spricht und heute in der Jugendpsychiatrie in Behandlung ist, dann würde ich seinen Peiniger zur Rechenschaft ziehen wollen. Wenn ich es könnte, wenn ich die Gelegenheit hätte. Vielleicht würde ihm all dies antun können, worum David Gott in diesem Psalm bittet.
    Ich habe wahrgenommen, wie ihr eure Blicke von mir abgewendet habt, als herauskam, dass Lasse seine Schulleiterin bedroht hatte. Ich habe mitbekommen, wie ihr hinter meinem Rücken über ihn, mich, meine Frau getuschelt habt. Kaum einer kam zu mir, hat das Gespräch gesucht oder Fragen gestellt. Ich habe mich alleine gefühlt. Und auch deswegen gehe ich nun weg hier, aus dieser Gemeinde. Ich hatte viele schöne Stunden hier, viele bereichernde Begegnungen. Doch am Ende gehe ich als ein Mann, der etwas getan hat, was nicht zu verzeihen ist. Gott werde ich auch nicht darum bitten. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich habe Rache genommen. Rache an demjenigen, der meinen Sohn in den Wahnsinn getrieben hat. In einem Versteck in diesem Haus, oben im Kirchturm, fand ich neben einigen Drohbriefen einen Zettel, auf dem mein Sohn Lasse Gedanken niederschrieb. Er schrieb stets von einem ‹A›. Nie schrieb er den Namen aus. Doch am Ende vergaß er es einmal und schrieb: ‹Ich habe Angst, dass Adrian Ernst macht.› Mit ‹Ernst machen› meinte er, dass der andere Lasses Mutter etwas antun könnte.
    Ich wollte wissen, warum ein junger Mann, er heißt Adrian Albrecht, so etwas einem vierzehnjährigen sensiblen Jungen antut. Ich wollte mit ihm reden. Also wartete ich vor einer Woche in der Nähe seines Wohnhauses auf ihn. Ich sprach ihn an und bat ihn, mit mir zu reden. Warum solle er das tun, antwortete er, was solle er mit einem blöden Pfaffen schon
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