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Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Der Tod kann mich nicht mehr überraschen

Titel: Der Tod kann mich nicht mehr überraschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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gehängten Schlauch des Tropfs. Alleine ihm zuzusehen, machte Marvin nervös.
Dass Basti nichts sagte und unterdessen jeden Augenkontakt vermied, kam ihm verdächtig vor. Um was druckste sein Bruder da herum? Marvin wartete noch ein paar Minuten der angefüllten Stille im Raum ab. Man hörte das leise Schnarchen des Nachbarn, Bastis Schritte, seinen Atem, die reibenden Geräusche der Kleidung, während er sich bewegte, sein Gefummel an sämtlichen Gegenständen … schließlich hielt Marvin es nicht mehr aus.
»Also raus damit - was wolltest du mich fragen?«
Basti sah nur kurz zu ihm herüber, fast schon erschrocken. Dann schlenderte er langsam zum Bett. Er sprach leiser als sonst.
»Ich wollte dich fragen, ob du mir etwas Geld leihst.«
Deshalb war er also hier! Eigentlich hatte Marvin den Besuch seines Bruders auch sehr viel später erwartet und nicht gleich am dritten Tag seines Krankenhausaufenthaltes – und schon gar nicht mit Blumen.
»Lisa hat also ›Nein‹ gesagt?«
»Du weißt, sie kann mich nicht leiden!«
»So weit ich mich erinnere, nanntest du sie einmal ›Blödchen‹!«
»Ich brauche das Geld. Es ist dringend. Ich brauche es auch nur kurz … nur ein paar Tage lang!«
Stille.
Bastis Stimme bekam nun einen flehenden Tonfall. »Marvin – sag' doch was!«
»Wozu brauchst du es? Und wie viel soll es überhaupt sein?«
Jetzt rang Basti vor Marvins Bett mit den Fingern; wortlos eine Weile, schließlich wagte er sich.
»Vierzigtausend!«
»Was?! Vierzigtausend?! Basti!«
Vor Entsetzen saß Marvin plötzlich kerzengerade im Bett, selbst erstaunt, heute noch zu solchem Kraftaufwand fähig zu sein. Von der ungewohnt schnellen Bewegung wurde ihm sogleich schwindelig. Er wusste für einen Augenblick nicht, in welcher Position sich sein Körper befand, weil er den Kontakt mit dem Bett nicht mehr spürte. Schnell tastete er nach dem Bettrahmen. Als er sich gefasst hatte, warf Marvin einen Blick auf seinen Mitpatienten, denn er war beim letzten Satz unbeabsichtigt laut geworden. Zum Glück aber schien dieser zu schlafen, zumindest tat er so. Marvin wollte flüstern, doch in seiner Aufregung zischte er.
»Basti – wozu brauchst du das Geld? Du bekommst gar nichts, wenn du mir nicht sofort die Wahrheit sagst.«
Auch Basti zischte, weil er es nicht schaffte, leise zu reden.
»Oh Mann! Es ist für Mutter! Sie hat mir ihr Geld überwiesen, damit nicht alles auf ihrem Konto liegt. Du weißt schon, falls sie mal ins Pflegeheim muss. Die will das jetzt plötzlich alles zurück! Sie will es sehen … richtig ansehen, verstehst du. Ich weiß auch nicht, warum. Sie besteht darauf, es in den Fingern zu haben.«
»Dann lass sie doch. Zeig ihr den Kontoauszug! Oder geh mit ihr zur Bank und lass es dort bestätigen. Das wird sie doch wohl noch verstehen.«
»Das reicht ihr aber nicht – sie will es fühlen und zählen. Du kennst sie doch!«
Marvin begann, etwas zu ahnen.
»Du hast das Geld nicht mehr, stimmt's?«
Mit Augen voll gespielter Unschuld blickte Basti ihn an.
»Wie kommst du darauf? Ich sagte nicht, dass es nicht mehr da ist!«
»Und wo ist dann das Problem?«
Marvin wurde ungeduldig. Es war immer das Gleiche mit seinem Bruder. Zuerst musste er alles abstreiten, obwohl selbst der Dümmste ihn durchschauen konnte. Wie bei einem Kind, welches mit einem Ball in der Hand vor den Scherben eines Fensters stand und behauptete, es sei nicht schuld an dem Loch in der Scheibe.
»Ich hatte es gut angelegt. Es war ein todsicherer Tipp.«
»Basti – es war nicht dein Geld! Ist dir klar, wie lange sie gespart hat, um auf diese Summe zu kommen?«
»Klar, dir wäre das natürlich nicht passiert! Der große edle Bruder – Moralapostel voller Vernunft! Der Klugscheißer, der immer alles richtig macht und immer nur Erfolg hat!«
Das Geheimnis bewahrende Zischen Bastis wich einer Lautstärke, die selbst im Flur zu hören war. Schließlich schlug er mit beiden Händen so heftig gegen das Bettgestell, dass sich die Vibrationen des Rahmens von Marvins Beinen über das Gesäß, bis zu seinem Kopf ausbreiteten.
»Ich muss es ihr nur einmal zeigen, damit sie sieht, dass es noch da ist. Danach kannst du es zurückhaben, wenn du unbedingt willst! Du brauchst das Geld doch nicht mehr! Und Lisa? Sei mal ehrlich! Braucht sie wirklich so viel?«
Marvin erstarrte, während er zuhörte, so kerzengerade, wie er sich eben hochgerissen hatte. »Wieso meinst du, dass ich es nicht mehr brauche?«
Basti kratzte sich aufgewühlt am Kopf, der langsam

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