Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad

Titel: Der Tod fährt Riesenrad - Kneifl, E: Tod fährt Riesenrad
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
Ideen. Dieser unsympathische millionenschwere Großindustrielle hatte sich im Laufe der Jahre bestimmt nicht nur jede Menge Feinde gemacht, sondern war auch ein sehr attraktives Opfer für Erpresser, dachte er, während er quer durch die engen Gassen der Innenstadt schlenderte. An diesem herrlichen Sommertag waren viele Leute unterwegs. Alle paar Minuten lüftete er seinen Halbzylinder und verbeugte sich in Richtung einer elegant gekleideten Dame.
    Er habe Glück bei den Frauen, hatte seine Mutter oft behauptet. Der bewundernde Blick, der ihren Worten gefolgt war, hatte ihm ein gewisses Unbehagen bereitet. Gustav hatte in seiner Jugend große Sorge gehabt, dass ihn seine Freunde für ein Muttersöhnchen halten könnten. Deshalb hatte er immense Anstrengungen unternommen, seinen Schul- und Studienkollegen durch sportliche Höchstleistungen zu imponieren, und sich auf alle möglichen wagemutigen Abenteuer eingelassen. Er war Mitglied in einem Boxclub, ein schneller Läufer, ein schneidiger Reiter, ein kühner Fechter und in späteren Jahren ein stadtbekannter Herzensbrecher gewesen. Bei dem Gedanken an seine Jugend kam ihm unwillkürlich sein bester Freund Rudi Kasper in den Sinn.
    Anstatt schnurstracks nach Hause zu gehen, suchte er den k. k. Hofzuckerbäcker Demel am Kohlmarkt auf und kaufte ein paar Naschereien für seine Tante. Dann spazierte er zurück über den Blumenmarkt am Hof zur Freyung und weiter zur k. k. Polizeidirektion am Schottenring.
    Obwohl Rudi sein Studium der Rechte summa cum laude abgeschlossen hatte, war die von ihm erhoffte große Karriere bei der Polizei ausgeblieben. Immerhin hatte er es aber zum k.k. Polizei-Oberkommissär gebracht und besaß ein eigenes Büro im Kommissariat für die Innere Stadt.
    Gustav ärgerte sich mehr über die Benachteiligung seines Freundes als Rudi selbst. Als Kind einfacher Leute hatte Rudi Kasper in der Kaiserstadt keine Chance auf einen Posten in den oberen Etagen. Sein Vater führte eine Wirtschaft in Margareten, in der Nähe des Wienflusses, das Gasthaus „Zum silbernen Kegel“. Er hatte sich das Schulgeld und später das Studiengeld für seinen einzigen Sohn buchstäblich vom Mund absparen müssen. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben.
    Um in Wien Karriere machen zu können, brauchte man den passenden Stammbaum und Freunde an den richtigen Stellen. Schicksale wurden in diesem Land unter der Hand entschieden. Einige wenige schafften es auch durch Bücklinge, Schmieren und Arschkriechen, in der Hierarchie weiter nach oben zu kommen, doch das war nicht Rudis Art.
    Obwohl er zwei Jahre älter war als sein Freund, waren sie ab dem achten Schuljahr zusammen aufs Schottengymnasium gegangen. Nach der Matura hatten sie gemeinsam zu studieren begonnen. Während Rudi sein Studium der Rechte in der Mindestzeit absolvierte, schloss sich Gustav einer Gruppe wohlhabender Tachinierer an und verbrachte mehr Zeit in den Kaffeehäusern als in den Hörsälen der Alma Mater Rudolphina.
    Das Büro des Polizei-Oberkommissärs war nicht gerade repräsentativ. Hellbraun gestrichene Wände, dunkler, abgetretener Parkettboden und ein kleines Fenster, das auf einen schmalen Lichthof hinausging. Obwohl die Sonne schien, war es ziemlich dunkel in dem Büro. Hinter Rudis Schreibtisch hing das unvermeidliche Porträt Seiner Majestät des Kaisers in seiner hellblauen Uniform. Sein wuchernder Backenbart befand sich genau in Gustavs Augenhöhe. Daneben hing der Doppeladler, auch dieser ein Symbol der unendlichen Macht der Habsburger.
    „Hier riecht’s so komisch.“ Gustav rümpfte die Nase.
    „Ich weiß. Wir werden der Ratten nicht Herr.“
    „Ratten? Ich würd eher sagen, hier riecht’s nach Tod.“
    „Sehr witzig! Was willst du?“
    „Dich besuchen.“
    „Nett von dir, aber ich habe zu tun.“
    Rudi setzte seine Nickelbrille auf, zwirbelte seinen dünnen, rotblonden Schnurrbart und schaltete die Gaslampe auf seinem mit Akten überladenen Schreibtisch ein.
    Dass Rudi bereits eine Brille brauchte, war kein Wunder.
    Der Polizei-Oberkommissär war einen halben Kopf kleiner als sein Freund, wirkte aber muskulös und durchtrainiert, verglichen mit dem schlaksigen Gustav. Sein rötlicher Haarschopf begann sich bereits zu lichten, die Geheimratsecken würden sich demnächst nicht mehr durch den akkuraten Seitenscheitel kaschieren lassen. Gustav hatte von jeher die besseren Chancen bei Frauen gehabt. Rudi war neidisch auf seine amourösen Erfolge. Während Gustav seinen Freund um
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher