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Der Tod des Maerchenprinzen

Der Tod des Maerchenprinzen

Titel: Der Tod des Maerchenprinzen
Autoren: Svende Merian
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in seine Augen. Mir lag das schon die ganze Zeit auf der Zunge. Ist doch egal, wann der Termin zu Ende ist. Ich möchte heute nacht mit ihm Zusammensein. Es ist alles so sonnenklar, was laufen wird, und doch ist nichts von der üblichen peinlich verkrampften Lockerheit, die so oft am Anfang da ist. Ich habe vor nichts Angst. Ich kenne einen Menschen zwei Stunden und weiß, daß ich heute noch mit ihm schlafen kann — ohne Angst... ohne Fremdheit... wie konnte ich dieses Vertrauen in zwei Stunden entwickeln? — Ich weiß es nicht. Verstehe es nicht. Aber eins weiß ich: Mir ist so was noch nie vorher passiert! Noch nie! Ich habe immer Zeit gebraucht, um das Vertrauen zu entwickeln, ohne Angst und ohne Fremdheit, mit jemanndem schlafen zu können. Weshalb habe ich das bei ihm nicht gebraucht?
    Seine Augen leuchten: «Ja, heute abend.»

    Ich fahre zu Gabi. Sechzehn Oxmox -Briefe in der Tasche. In der U-Bahn denke ich an heute abend. Heute abend. Heute abend.

    Ich bin mit Gabi verabredet, weil wir die Kontakt-Anzeige zusammen aufgegeben haben, und sie sich die Briefe jetzt auch durchlesen soll.
    Als Gabi mir die Wohnungstür aufmacht, sage ich nur: «Ich hab einen. Du kannst die anderen fünfzehn kriegen.» Gabi fragt: «Was ist denn das?» Lacht. Ich erzähle von meinem Märchenprinzen. Von seinem schillernden Rappen und seiner silbernen Rüstung. Von seinen braunen Augen und seinen sanften Händen. Von unserer ersten Begegnung auf grüner Au.

    Endlich klingelt es. Ich rausche im langen Rock die Treppe hinunter. Hoffentlich denkt der nicht, ich hab den Rock seinetwegen angezogen (hab ich doch aber!). Sehe sein strahlendes Gesicht hinter der Glasscheibe, schließe die Tür auf, einen Moment noch dieses strahlende Gesicht hinter Glas, dann dicht vor mir diese leuchtenden Augen, diese leidenschaftliche Umarmung, die ich noch nicht fassen kann und noch kaum ertragen kann.
    Oben setze ich mich ganz locker verkrampft neben ihn aufs Bett. Er schenkt Wein ein. In meine langstieligen Gläser, die ich immer nur bei Herrenbesuch raushole, weil ich da nur zwei von habe. Er guckt sich auf meinem Tisch um, schlägt die Brecht-Prosa auf, die ich gerade rumliegen hab. Das Märchen vom Geierbaum, das ich vorhin gelesen, aber nicht verstanden hab. Frag ihn, ob er’s versteht. Er liest es. Macht zwischendurch Pausen, blickt vom Buch auf, in die Luft, schließt die Augen und denkt demonstrativ nach. Eine Geste, mit der ich erst mal nicht klarkomme. Fühle mich unwohl, kämpfe es aber nieder. Das ist wohl so bei dem. Da mußt du dich dran gewöhnen.
    Plötzlich meint er: Ja, das kann es sein, sagt, wie er das Märchen verstanden hat. Ja, natürlich, das klingt ganz logisch. Und wieso sind wir da vorhin zu zweit nicht draufgekommen? Barbara und ich? Der Typ ist ja nicht unintelligent.
    Irgendwann hat er dann meine Gedichte in der Hand. Ich will ihm einige zeigen, aber plötzlich fängt der an, da drin rumzublättern. Hoffentlich findet er jetzt nicht ausgerechnet... da hat er’s schon aufgeschlagen:

    tage
    möchte ich vervögeln
    in schweißgeruch
    baden
    in wohliger nässe
    mein Unterleib
    heiß zerfließend
    dem lieben herrgott
    den tag stehlen.

    Mußte er jetzt ausgerechnet dieses Gedicht von mir aufschlagen? Mein Gott, ist mir das peinlich! Erstens, weil ich mit ihm schlafen möchte und das auch sowieso total im Raum schwebt. Von mir aus hätte es auch schon längst losgehen können, ohne Brecht-Prosa und andere Umwege. Nur ich bring das nicht (natürlich mal wieder), den Typen anzumachen. Ich möchte, verdammte Scheiß-Emannzipation, daß er mich verführt, daß er mir die Initiative abnimmt. Und außerdem, das hab ich ja heute auf der Wiese schon gemerkt: schüchtern ist der junge Mann weiß Gott nicht. Wenn der jetzt hier sitzt und Brecht liest, dann nicht, weil er sich nicht traut, mich anzumachen, und darauf wartet, daß ich den Anfang mache, sondern weil er im Moment scheinbar wirklich noch Brecht lesen will. Und ich warte die ganze Zeit drauf, daß er den Anfang macht, trau mich selber nicht, und dann findet der ausgerechnet das Gedicht!
    Und außerdem, was mir noch viel peinlicher ist, der Typ könnte ja bei dem Gedicht denken, daß ich nur mit ihm schlafen will, weil ich geil bin. Und das bin ich ja gar nicht. Ich möchte mit ihm schlafen, weil ich mich in ihn verliebt habe. Der soll doch nicht denken, ich bin «so eine». Der muß mir glauben, daß ich mich in ihn verliebt habe.
    Und außerdem kann ich das Wort
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