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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt
Autoren: James Herriot
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ebenso tödlichen Strahl auf meine andere Backe. Es gab kein Entkommen. Ich war den beiden ausgeliefert.
    Aber moralisch hatte ich Auftrieb. Ich schaufelte die verbotenen Früchte handvollweise aus dem Pansen, und innerhalb von Minuten war der Scheunenboden übersät mit Bramley-Äpfeln und Conference-Birnen.
    »Damit kann man einen Laden aufmachen«, lachte ich.
    »Hrrraach!« erwiderte Mr. Sowden.
    »Hapschumm!« pflichtete George ihm bei.
    Als ich den letzten Apfel und die letzte Birne herausgeholt hatte, wusch ich die Wunde aus und nähte wieder zu. Das ist der längste und langweiligste Teil einer Pansenöffnung. Die Spannung der Diagnose und die Aufregung der Entdeckung sind vorüber, und gewöhnlich ist es jetzt an der Zeit, mit den Farmern zu plaudern und sich mit Geschichten die Zeit zu vertreiben.
    Aber hier im fahlen Licht, wo mir der kalte Wind um die Füße blies und die eisigen Regentropfen den Nacken hinunterliefen, war ich gar nicht zu Gesprächen aufgelegt, und meine Assistenten waren vollauf mit der eigenen Unpäßlichkeit beschäftigt.
    Ich hatte schon halb zugenäht, als ich ein Prickeln in der Nase verspürte und meine Arbeit unterbrechen mußte. »Äh – äh – pschui!« Ich fuhr mir mit dem Arm über die Nase.
    »Jetzt fängt’s bei ihm an«, brummte George mit trüber Genugtuung.
    Ich war nicht sonderlich besorgt. Mein Fall war ohnehin verloren. Nach einer so langen Zeit hemdsärmlig in der Kälte konnte der ständige doppelseitige Bakterienbeschuß es auch nicht mehr schlimmer machen. Ich hatte mich mit meinem Schicksal abgefunden, und als ich Nadel und Faden weglegte und dem Kalb vom Tisch herunterhalf, fühlte ich mich trotz allem recht stolz und zufrieden. Das schreckliche Stöhnen hatte aufgehört, und das kleine Tier blickte sich erstaunt um, als wäre es eine Weile weg gewesen. Es war zwar noch nicht ausgesprochen munter, aber ich wußte, daß es keine Schmerzen mehr hatte und daß es am Leben bleiben würde.
    »Betten Sie ihn schön warm, Mr. Sowden.« Ich wusch die Instrumente im Eimer aus. »Packen Sie ihn in ein paar Säcke, damit er keinen Zug bekommt. In vierzehn Tagen bin ich wieder da und ziehe die Nähte.«
    Diese vierzehn Tage wurden mir sehr lang. Meine Erkältung entwickelte sich, wie ich es erwartet hatte, zu einem entsetzlichen Katarrh, der zur unvermeidlichen Braunschitiß führte, und mein Husten konnte es mit dem Mr. Sowdens aufnehmen.
    Mr. Sowden war kein besonders begeisterungsfähiger Mensch, aber ich hätte doch erwartet, daß er eine Spur glücklicher dreinschaute, als ich die Nähte zog. Das Kalb war inzwischen so lebhaft, daß ich es in seinem Verschlag herumjagen mußte, um es einzufangen.
    Trotz des Brennens in meiner Brust fühlte ich mich von meinem Erfolg beschwingt.
    »Er hat sich ausgezeichnet erholt«, sagte ich. »Aus dem kann noch einmal ein guter Ochse werden.«
    Der Bauer zuckte trübsinnig die Achsel. »Möglich. Aber es war nicht nötig, all das Zeug anzustellen.«
    »Nicht nötig...?«
    »Nein. Hab mit paar Leuten darüber gesprochen, und die sagen, es war dumm, ihn so aufzuschneiden, ‘n halber Liter Öl hätte es auch getan, wie ich gesagt hab.«
    »Mr. Sowden, ich versichere Ihnen...«
    »Und jetzt hab ich ‘ne große Rechnung am Hals.« Er vergrub die Hände in den Taschen.
    »Glauben Sie mir, es hat sich gelohnt.«
    »Ach was! Nie im Leben.« Im Weggehen blickte er mich noch einmal über die Schulter an. »Sie wären besser gar nicht erst gekommen.«

3
     
    »Sieht ganz so aus, als ob es mit der alten Blossom zu Ende geht«, sagte Mr. Dakin, der betagte Farmer aus Darrowby. Er legte der alten Kuh einen Augenblick lang die Hand auf den Rücken. Die Hand war riesig und abgearbeitet. Mr. Dakin war hager und zäh, aber den schwieligen Fingern sah man an, daß er ein Leben lang hart gearbeitet hatte.
    Ich trocknete die Nadel ab und legte sie in den kleinen Metallkasten, in dem ich die Nähutensilien aufbewahrte. »Tja, Mr. Dakin, es ist natürlich Ihre Sache, aber jetzt habe ich ihr schon zum drittenmal die Zitzen zunähen müssen, und ich fürchte, es wird wieder passieren.«
    »Ja, es liegt an ihrem Rieseneuter.« Er bückte sich und betrachtete die Stiche auf der zehn Zentimeter langen Narbe. »Bei Gott, man hält es nicht für möglich, daß es gleich so schlimm kommt – bloß weil eine andere Kuh draufgetreten ist.«
    »Ein Kuhhuf ist scharf«, sagte ich. »Fast so scharf wie ein Messer.«
    Das war das größte Übel für eine sehr alte
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