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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt
Autoren: James Herriot
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bedächtig schritt und Jack Dodson ihr nachlief. Als das Tier und der Mann hinter einer Baumgruppe verschwanden, blickte Mr. Dakin ihnen immer noch nach und lauschte dem Klappern der Hufe auf dem harten Boden.
    Als endlich nichts mehr zu hören war, wandte er sich mir zu. »So, Mr. Herriot, machen wir uns an die Arbeit. Ich hole Ihnen heißes Wasser.«
    Der Bauer war schweigsam, während ich mir den Arm einseifte und ihn in die Kuh einführte. Das Entfernen der Nachgeburt bei einer Kuh ist an sich schon keine angenehme Sache, aber es ist noch unangenehmer, wenn man dabei zusehen muß, und ich bemühe mich stets, den Farmer mit einem Gespräch abzulenken, während ich im Uterus herumwühle. Aber dieses Mal hatte ich es schwer. Auf all meine Bemerkungen über das Wetter, das Cricketspiel und die Milchpreise antwortete er nur mit einem kurzen Brummen.
    Er hielt den Schwanz der Kuh, lehnte sich auf ihren haarigen Rücken und blies mit ausdruckslosem Gesicht große Rauchwolken aus seiner Pfeife. Und natürlich mußte es ausgerechnet dieses Mal, in der unbehaglichen Atmosphäre, viel länger als gewöhnlich dauern. Manchmal ließ sich die Placenta leicht mit einem Griff herausheben, aber diese mußte ich stückweise entfernen. Dauernd seifte ich den Arm von neuem ein, bis er mir ziemlich weh tat. Aber endlich war es vorüber. Ich band mir den Sack vom Gürtel und zog mir das Hemd über den Kopf. Das Gespräch war völlig eingeschlafen und die Stille war geradezu bedrückend, als wir zur Stalltür gingen.
    Mr. Dakin blieb mit der Hand am Riegel stehen. »Was ist das?« sagte er leise.
    Vom Hügel her kam das Klappern von Hufen. Zwei Pfade führten zur Farm, und das Geräusch kam von einem schmalen Weg, der eine halbe Meile hinter der zweiten Einfahrt in die Straße mündete. Während wir standen und lauschten, bog eine Kuh um einen steinigen Hügelvorsprung und kam geradewegs auf uns zu.
    Es war Blossom. Sie lief in munterem Trab, ihr riesiges Euter schwang hin und her, und ihre Augen blickten zielbewußt auf die Stalltür.
    »Was zum Henker...?« rief Mr. Dakin verblüfft aus, aber die alte Kuh lief an uns vorbei und trat ohne Zögern in den Stand, der all die Jahre hindurch ihrer gewesen war. Sie schnupperte an der leeren Krippe und wandte sich nach ihrem Besitzer um.
    Mr. Dakin starrte sie an. Die Augen in seinem verwitterten Gesicht waren ausdruckslos, aber der Rauch aus seiner Pfeife stieg in einer Reihe von schnellen Zügen himmelwärts.
    Schwere Stiefelschritte erklangen von draußen, und Jack Dodson schob sich schwer atmend durch die Tür.
    »Ach, da bist du, du altes Biest!« keuchte er. »Ich dachte schon, du bist mir entwischt!«
    Er wandte sich an den Farmer. »Tut mir wirklich leid, Dakin. Sie muß da oben bei dem anderen Weg umgekehrt sein. Ich hab sie gar nicht abhauen sehen.«
    Mr. Dakin zuckte die Schultern. »Ist schon gut, Jack. Ist nicht deine Schuld. Ich hätt’s dir vorher sagen sollen.«
    »Na, der Schaden ist leicht behoben.« Der Viehtreiber grinste und trat auf Blossom zu. »Nun komm schon, Alte. Jetzt geht’s wieder los.«
    Aber Mr. Dakin hielt ihn mit ausgestrecktem Arm zurück.
    Es war eine ganze Weile still. Dodson und ich schauten überrascht den Farmer an, der unverwandt auf seine Kuh starrte. Das alte Tier hatte in seiner Kläglichkeit eine gewisse Würde, wie es da zwischen den morschen Balken stand und geduldig vor sich hin blickte. Es war eine Würde, über der man vergaß, wie häßlich die ausgetretenen Hufe, die mageren Rippen und das schlaffe Euter waren.
    Und dann ging Mr. Dakin bedächtig und ohne ein Wort zu ihr hin, und es klickte leise, als er ihr die Kette wieder um den Hals legte. Dann holte er eine Gabel Heu, das er mit fachmännischem Schwung in die Krippe warf.
    Darauf hatte Blossom gewartet. Sie steckte den Kopf durch das Freßgitter und begann mit ruhiger Befriedigung zu kauen.
    »Was soll das heißen, Mr. Dakin?« fragte der Viehtreiber verblüfft. »Die warten im Schlachthof auf mich!«
    Der Farmer klopfte an der Tür seine Pfeife aus und füllte sie neu mit dem schwarzen Tabak aus seiner zerbeulten Blechdose. »Tut mir leid, daß ich dir die Zeit stehle, Jack, aber du wirst ohne sie gehen müssen.«
    »Ohne sie? Aber warum?«
    »Na ja, du wirst mich für bekloppt halten, aber so ist es nun einmal. Die gute alte Blossom ist nach Hause gekommen, und zu Hause bleibt sie.« Sein Blick tat dem Viehtreiber kund, daß dieser Entschluß endgültig war.
    Dodson nickte und ging
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