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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt
Autoren: James Herriot
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lächelte wie gewöhnlich aus seinem runzeligen Gesicht. Er trat an die Box und stupste Gertrud mit seinem Stock gegen die Rippen.
    Sie antwortete mit einem bösen Grunzen und einem noch böseren Blick. Das Lächeln des alten Mannes wurde noch strahlender.
    »Dem ollen Mistviech werd ich’s eintränken«, sagte er.
    »Eintränken?« Ich trat verlegen von einem Fuß auf den andern. »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Ach, die braucht nur ’n bißchen Beruhigung, wissen Sie?«
    Ich holte tief Luft. »Jawohl, Mr. Hollin, darum bemühe ich mich ja gerade.«
    »Tja, aber Sie stellen’s nicht richtig an, junger Mann.«
    Ich sah ihn scharf an. Mit Besserwissern und ihren großzügigen Ratschlägen muß sich jeder Tierarzt herumschlagen, aber über Opa Hollin ärgerte ich mich nicht. Ich mochte ihn. Er war ein netter Mann und das Oberhaupt einer liebenswerten Familie. Will war der älteste seiner vier Söhne, und einige seiner Enkel waren Farmer in der Gegend.
    Außerdem hatte ich nichts erreicht. Es war nicht der rechte Augenblick für Überheblichkeit.
    »Eben habe ich ihr die letzte Spritze verpaßt«, brummte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Sie braucht keine Spritzen. Sie braucht Bier.«
    »Was?«
    »Bier, junger Mann. Gutes starkes Bier.« Er wandte sich an seinen Sohn. »Hast du einen sauberen Eimer, Will?«
    »Ja, in der Molkerei steht ein frisch ausgeschrubbter.«
    »Gut. Dann geh ich mal zum Pub runter. Bin gleich wieder da.« Opa machte kehrt und schritt in die Nacht hinaus. Er mußte um die Achtzig sein, aber von hinten sah er wie ein junger Bursch aus – kerzengerade, elastisch und flott.
    Will Hollin und ich hatten uns nicht viel zu sagen. Er war in finstere Grübeleien versunken, und ich schämte mich in Grund und Boden. So waren wir erleichtert, als Opa mit einem emaillierten Eimer voll brauner Flüssigkeit zurückkehrte.
    »Donnerwetter«, kicherte er. »Ihr hättet die Gesichter da unten im Wagon and Horses sehen sollen. Ich wette, bei denen hat noch niemand zehn Liter auf einmal bestellt.«
    Ich starrte ihn an. »Sie haben zehn Liter Bier geholt?«
    »Genau, junger Mann. Soviel wird sie brauchen.« Er wandte sich wieder an seinen Sohn. »Sie hat doch noch nichts getrunken, Will?«
    »Nein. Ich wollte ihr Wasser geben, als sie fertig war, bin aber noch nicht dazu gekommen.«
    Opa stellte den Eimer hin. »Na, dann wird sie schön durstig sein.« Er lehnte sich über die Box und goß das schäumende braune Getränk in einem Strahl in den leeren Trog.
    Gertrud trottete gemächlich heran und beschnupperte die seltsame Flüssigkeit. Nach kurzem Zögern tunkte sie die Schnauze hinein, versuchte einen Schluck, und Sekunden später hallte ihr geschäftiges Schlürfen durch den ganzen Stall.
    »Donnerwetter, es schmeckt ihr!« rief Will erstaunt.
    »Kein Wunder«, seufzte Opa. »Es ist John Smiths bestes Bitter.«
    In erstaunlich kurzer Zeit hatte die große Sau den Trog leer getrunken, und als sie fertig war, leckte sie noch gründlich die Ecken aus. Sie zeigte keinerlei Neigung, sich wieder hinzulegen, sondern ging gemütlich in der Box spazieren. Hie und da blieb sie am Trog stehen, um sich zu vergewissern, daß nichts übriggeblieben war, und dann schaute sie zu den drei Gesichtern auf, die ihr über die Box entgegenblickten. Überrascht stellte ich fest, daß der eben noch so unheilschwangere Ausdruck einem wohlwollenden Blinzeln gewichen war. Man hätte fast meinen können, daß sie lächelte.
    In den nächsten Minuten wurden ihre Schritte bedenklich unsicher. Sie torkelte und strauchelte, fiel einmal fast hin, und dann ließ sie sich mit einem laut vernehmlichen Rülpser auf das Stroh fallen und rollte sich auf die Seite.
    Opa pfiff leise vor sich hin und stieß ihr den Stock an den Schenkel, aber sie rührte sich nicht und antwortete nur mit einem zufriedenen Grunzen.
    Gertrud war sternhagelvoll.
    Der alte Mann zeigte auf den Pappkarton. »Leg jetzt die Kleinen rein zu ihr.«
    Will packte die Ferkel auf den Arm und stieg mit ihnen in die Box. Wie alle neugeborenen Tiere brauchten sie keine Anweisung, und bald hatten sich fünfzehn hungrige Schnäuzchen an den Zitzen festgesaugt, und ich starrte mit gemischten Gefühlen auf das Resultat, das ich mit meiner modernen tierärztlichen Kunst vergeblich zu erreichen versucht hatte. Ich war nicht sehr stolz auf mich.
    Beschämt räumte ich die Relax-Ampullen weg und stahl mich heimlich, still und leise zu meinem Wagen, als Will mich rief.
    »Trinken Sie doch noch
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