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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt
Autoren: Robert Lyndon
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«Herr, ich heiße Hero.»

III
    P lötzlich blieb das Maultier mit Hero auf dem Rücken inmitten der pechschwarzen Nacht stehen. Sie waren immer noch in dem Wäldchen, und das leise Rascheln, das er vernahm, war Schnee, der durch das kahle Geäst getrieben wurde. In der Ferne bellte ein Hund, den die Einsamkeit hatte irre werden lassen. Eine Bewegung ganz dicht neben ihm ließ Hero das Blut in den Adern gefrieren.
    «Seid Ihr das, Herr?»
    «Wer sonst?»
    «Warum haben wir angehalten?»
    «Ich kann Rauch riechen. Wir müssen in der Nähe einer Siedlung sein.»
    Heros Phantasie bevölkerte die Nacht mit normannischen Patrouillen, dänischen Piraten und englischen Kannibalen. «Machen wir hier bis zum Hellwerden Rast.»
    «Bis morgen früh bist du steif wie ein Trockenfisch.»
    Tränen brannten in Heros Augen. «Ja, Herr.»
    «Also bleib wach. Und hör mit dem Zähneklappern auf.»
    Mit zusammengebissenen Zähnen ritt Hero in blindem Zickzack-Kurs weiter hügelabwärts. Schließlich bemerkte er an einer leichten Aufhellung der tiefschwarzen Dunkelheit, dass die Bäume weniger dicht standen. Er roch umgepflügte Erde und den herben Gestank eines abgebrannten Weilers. Es wurde leichter, sich vorwärtszubewegen. Nach ihrem unsicheren Abstieg war es nun, als würden sie auf der Dunkelheit schwimmen. Das Zischen und Glucksen eines schnellfließenden Gewässers wurde immer lauter, bis es alle anderen Geräusche verschluckte.
    «Die Burg steht stromaufwärts», murmelte Vallon und steuerte Hero in diese Richtung. Nach einer Weile hielten sie erneut an.
    «Wir sind an der Brücke.»
    Sie ertasteten sich den Weg über die Holzplanken. Die Burg musste direkt vor ihnen liegen, ausgelöscht von Dunkelheit und Schnee.
    «Bleib hier», sagte Vallon, und dann verschwand er.
    Der Fluss plätscherte nicht gleichmäßig dahin. Jedes Spritzen und Gurgeln führte bei Hero zu noch größerer Anspannung. Aus dem Schneestaub waren dicke Flocken geworden. Ein Rinnsal eisigen Wassers lief ihm unter den Kragen und das Rückgrat hinab. Stöhnend ließ er sich vornüber auf den Hals des Maultiers sinken. Das war die Strafe für seine Überheblichkeit, dachte er, als er sich ins Gedächtnis rief, wie sehr er bei seinem Abschied von Salerno davon überzeugt war, auf der Reise tausend Wunderdinge zu erleben, mit denen er seine Mitstudenten beeindrucken konnte, wenn er wieder zu Hause war.
    Zu Hause. Heimweh schnürte ihm die Kehle zu. Er sah das weiße Haus oberhalb des belebten Hafens vor sich. Er schwebte darüber wie ein Geist, sah seine verhärmte Mutter und seine fünf Schwestern. Die Fünf Furien hatte er sie immer genannt, aber was würde er nun darum geben, bei ihnen zu sein. Da waren sie, schnatterten wie die Stare und schminkten sich, bis Theodora, die jüngste und am wenigsten herzlose bei einem Blick in den Messingspiegel sagte: «Ich frage mich, wo unser lieber Hero jetzt ist.»
    Er schluckte, doch das Heimweh ließ sich nicht hinunterwürgen.
    «Nicht so laut», zischte Vallon neben ihm. Er war wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht. «Wir sind in Reichweite ihrer Pfeile von den Wällen, und sie haben Wächter über dem Tor stehen.»
    «Was sollen wir tun?»
    «Erzähl mir von Sir Walter. Los, mach schon.»
    Hero riss sich zusammen. «Meister Cosmas hat gesagt, dass er gut aussieht und einen scharfen Verstand hat.»
    «Du hast einen jüngeren Bruder erwähnt.»
    «Richard, ein Schwächling.»
    Vallon dachte eine Weile nach. «Nun, indem wir hier herumstehen, erreichen wir gar nichts.» Er trat einen Schritt vor und legte die Hände um den Mund. «Frieden! Zwei Reisende bringen eine wichtige Botschaft für Graf Olbec.»
    Oberhalb von ihnen ertönten Alarmrufe, und ein aufs Geratewohl abgeschossener Pfeil zischte an ihnen vorbei. Ein Horn wurde geblasen und eine Glocke geläutet. Als sie verklungen war, hörte Hero gedämpfte Hufschläge.
    Hastig ließ er das Maultier wenden. «Steigt auf. Wir haben noch genügend Zeit, in den Wald zu fliehen.»
    Vallon zog ihn aus dem Sattel. «Sie würden unseren Spuren folgen. Bleib dicht bei mir und zeige deine Angst nicht. Die Normannen verachten Schwäche.»
    Noch mehr Rufe. Knarrend wurde das Tor geöffnet, und Reiter mit Fackeln galoppierten heraus.
    Hero bekreuzigte sich. Vallon packte ihn am Arm.
    Ich werde nicht mit der Wimper zucken, schwor sich Hero. Ich werde dem Tod so tapfer entgegentreten wie der edle Archimedes.
    Die Reitergruppe raste auf sie zu wie eine flammenverschweißte Maschine.
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