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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt
Autoren: Robert Lyndon
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und alchemistischen Apparaturen herum.» Er schnalzte mit den Zügeln des Maultiers. «Wir sind fertig miteinander.»
    Als er gerade dachte, er wäre den Sizilianer endlich losgeworden, hörte er ihn hinter sich weiterbetteln.
    «Die Ländereien des Grafen liegen nicht in der Normandie. Er hat mit Herzog William auf dem englischen Feldzug gekämpft. Sein Lehen ist in England. Weit im Norden.»
    Vallon lachte nur.
    «Ich weiß, dass ich es allein nicht bis dorthin schaffe.»
    «Dann sind wir zumindest in diesem Punkt einer Meinung.»
    «Deshalb hat es mich so ermutigt, als Meister Cosmas mir versprochen hat, dass Ihr mein Führer und Beschützer werden würdet.»
    Vallon fuhr herum.
    «Mit seinem letzten Atemzug hat er gesagt, das Schicksal hätte Euch dazu bestimmt, die Reise von nun an anzuführen.»
    «Das Schicksal hätte mich dazu bestimmt? Er hatte seinen Verstand nicht mehr beisammen!» Vallon zerrte sich den Umhang von den Schultern. «Ich werde nicht den Mantel eines Toten tragen.» Erneut versuchte er ohne Erfolg, den Ring abzustreifen. «Sag kein Wort mehr. Folge mir keinen einzigen Schritt mehr. Wenn du es doch tust …» Er klopfte dem Maultier an den Hals und drückte ihm die Schenkel in die Flanken.
    Das Tier rührte sich nicht. Es rollte nur mit den Augen und legte die Ohren flach.
    Vallon bohrte ihm die Stiefel zwischen die Rippen.
    Das Maultier stellte sich auf die Hinterbeine. In demselben Moment, in dem Vallon darum kämpfte, es wieder in seine Gewalt zu bekommen, hörte er ein dumpfes Knacken. Am nächstgelegenen Berghang im Westen brach ein überhängendes Felsgesims ab, stürzte wie ein abgeschlagener Flügel in die Tiefe und explodierte in unzählige Felsbrocken, die weiter Richtung Tal polterten. Darauf begann der Hang scheinbar zu beben, und das gesamte Schneefeld geriet in Bewegung. Die Schneemassen schossen über den Talboden hinweg und brandeten wie gefrorene Gischt an den gegenüberliegenden Hang.
    Als das Dröhnen in Vallons Ohren nachließ, hörte sich das erste Geräusch, das er wieder wahrnahm, an wie klackernde Kieselsteine. Ein schwarzroter Vogel poussierte auf einem Felsen, richtete seinen Schwanz auf und flatterte mit den Flügeln. Vallon wurde bewusst, dass er, wenn ihn der Sizilianer nicht mit seinem Gebettel aufgehalten hätte, mitten in die Lawine geraten wäre.
    Zweimal hatte ihn das Schicksal innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden vor dem bewahrt, was er eigentlich verdiente. Dafür musste es einen Grund geben. Er ließ die Schultern sinken.
    «Zeig mir noch einmal diese heidnische Apparatur.»
    Er spielte mit dem Kompass herum, konnte seinen Mechanismus jedoch nicht überlisten. Zauberei oder Schwindel, darauf kam es nicht an. Welche Richtung er auch immer einschlug, am Ende würde er finden, was er suchte, oder es würde ihn finden.
    «Wenn du mein Diener bist, musst du lernen, deine Zunge im Zaum zu halten.»
    Der Sizilianer warf Vallon den Umhang wieder über die Schultern. «Mit Freuden. Aber, mit Eurer Erlaubnis, wenn die Straße einsam und die Nacht lang ist, werde ich Euch mit Erzählungen aus dem Altertum unterhalten. Oder wir könnten, da Ihr ein Mann des Krieges seid, über Fragen der Strategie diskutieren. Vor kurzem habe ich Polybius’ Berichte über die Kriegszüge des Hannibal gelesen.»
    Vallon warf ihm einen zweifelnden Blick zu.
    «Und wenn Ihr krank werdet, stelle ich mit Gottes Hilfe Eure Gesundheit wieder her. Offen gestanden habe ich Euren Zustand schon diagnostiziert.»
    «Ach wirklich?»
    «Der melancholische Gesichtsausdruck, der unruhige Schlaf – das sind die Symptome der Liebeskrankheit. Sagt mir, dass ich recht habe. Sagt mir, dass Ihr Eure Dame an einen anderen verloren habt und sie nun durch Heldentaten im Kampf wieder zurückgewinnen wollt.»
    Vallon verzog das Gesicht. «Kannst du auch einen gehenkten und gevierteilten Mann wiederauferstehen lassen?»
    Die Miene des Sizilianers wurde sehr ernst. «Nur Gott kann Wunder bewirken.»
    «Dann fange am besten schon jetzt an, darum zu beten, dass wir in Frankreich nicht gefangen genommen werden.»
    Vallon ließ das Maultier wenden, ohne genau zu wissen, wer von ihnen beiden der dümmere Wetterhahn war. Der Stein an Vallons Finger spiegelte den makellosen Himmel wider. Die Aussicht, nun wieder umzukehren, legte sich schwer wie Blei auf sein Gemüt.
    «Du sagst mir jetzt besser deinen Namen.»
    Wenn der Sizilianer ein Hund gewesen wäre, hätte er angefangen, mit dem Schwanz zu wedeln.
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