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Der Teufel von New York

Der Teufel von New York

Titel: Der Teufel von New York
Autoren: Lyndsay Faye
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einer Gruppe von Dandys mit Monokeln und frischgedrehten, glänzenden Seifenlocken vorbei, sie waren gestärkt und voller Kraft nach einem Besuch der Marmorbäder von Stoppani. Doch sie dachten herzlich wenig über die Kleine nach, denn sie rannte ja wie der Blitz zum Sechsten Bezirk, dieser Kloake, es war also anzunehmen, dass sie auch dort wohnte.
    Sie sah irisch aus. Sie war irisch. Welcher Mann, der noch ganz bei Trost war, würde sich über ein kleines irisches Mädchen Gedanken machen, das nach Hause lief?
    Also, ich schon.
    Ich verschwende deutlich mehr Gedanken an herumvagabundierende Kinder als der Durchschnitts-New-Yorker. Mit dem Problem habe ich einfach auch mehr zu tun. Erstens bin ich selbstein solches Kind gewesen, oder jedenfalls fast. Zweitens ist es die Aufgabe eines Polizisten, der den Kupferstern trägt, magere Kindchen mit schmutzigen Gesichtern einzufangen, wann immer er ihrer habhaft werden kann. Er hat sie wie Vieh zusammenzutreiben, dann in ein verriegeltes Fuhrwerk zu sperren, das über den Broadway zum House of Refuge, der Fürsorgeanstalt, rumpelt. Allerdings werden Straßenkinder in unserer Gesellschaft geringer geachtet als Jersey-Kühe, und Zusammentreiben ist bei Nutztieren auch einfacher als bei streunenden Kindern. Wenn sie von Polizisten in die Enge getrieben werden, starren Kinder einen mit etwas an, das zu hitzig ist, als dass man es Bösartigkeit nennen könnte, mit etwas, das hilflos ist, aber stolz ... mit etwas, das ich wiedererkenne. Daher werde ich so etwas niemals tun, unter gar keinen Umständen. Auch nicht, wenn es mich meine Arbeit kosten sollte. Oder mein Leben. Oder das Leben meines Bruders .
    Aber in der Nacht des 21. August dachte ich überhaupt gar nicht über streunende Kinder nach. Ich überquerte gerade die Elizabeth Street, mit einer Körperhaltung so zackig wie ein Sandsack. Eine halbe Stunde zuvor hatte ich meinen Kupferstern voller Ekel abgerissen und gegen die Wand geworfen. Inzwischen lag er jedoch in meiner Tasche, zusammen mit meinem Haustürschlüssel, und stach mir schmerzhaft in die Finger, und ich verfluchte in einem tröstlichen stummen Stoßgebet den Namen meines Bruders. Es ist für mich viel, viel erträglicher, wütend zu sein, als mich verloren zu fühlen.
    Hundsverfluchter Valentine Wilde , sagte ich immer wieder, Gott verdamme jeden schlauen Gedanken in seinem verfluchten Schädel.
    Dann rannte das Mädchen in mich hinein, es hatte mich übersehen, ziellos wie ein vom Wind gejagtes Stück Papier.
    Ich packte sie bei den Armen. Ihre trockenen, umherirrenden Augen leuchteten blassgrau, sogar in dem rauchgeschwärzten Mondlicht, wie Splitter vom Flügel eines Wasserspeiers, den es vom Kirchturm geweht hat. Sie hatte ein unvergessliches Gesicht,eckig wie ein Bilderrahmen, mit ernsten, aufgeworfenen Lippen und einer perfekten Stupsnase. Auf der Schulter hatte sie einen Spritzer blasser Sommersprossen, und sie war nicht sehr groß für ein zehnjähriges Mädchen, doch sie bewegte sich so geschmeidig, dass sie in meiner Erinnerung größer wirkte, als sie wirklich war.
    Aber das Einzige, was mir ganz deutlich auffiel, als sie mir gegen die Beine rannte, während ich in jener Nacht vor meinem Haus stand, das war, dass sie über und über mit Blut besudelt war.

1
    Bis zum ersten Juni waren siebentausend Emigranten angekommen ... und die Regierungsvertreter hatten Meldung erhalten, dass 55 000 weitere, fast alle davon Iren, noch für diese Saison eine Schiffspassage gebucht hatten. Die Zahl der Iren, die nach Kanada und in die Staaten kommen werden, wird von manchen auf 100 000 geschätzt. Das restliche Europa wird wahrscheinlich noch 75 000 weitere Emigranten in die Staaten schicken.
    New York Herald, Sommer 1845.
    Polizist im Sechsten Bezirk von New York City zu werden, war eine unliebsame Überraschung für mich.
    Das war nicht der Beruf, den ich mir für mein siebenundzwanzigstes Lebensjahr erträumt hatte. Allerdings würde ich drauf wetten, dass meine Kollegen dasselbe sagen würden, denn vor drei Monaten gab es diesen Beruf noch überhaupt nicht. Wir sind eine frisch aus dem Boden gestampfte Truppe. Vielleicht erzähle ich besser zuerst einmal, wie es dazu kam, dass ich vor drei Monaten, im Sommer 1845, eine Beschäftigung brauchte, obwohl es mir ziemlich schwerfällt, darüber zu sprechen. Denn wenn ich meine schlimmsten Erinnerungen auflisten müsste, würde diese hier wohl ganz oben stehen. Aber ich werde mein Bestes versuchen.
    Am 18. Juli
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