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Der Teufel Von Muenster

Der Teufel Von Muenster

Titel: Der Teufel Von Muenster
Autoren: Alfred Bekker
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seinen Angehörigen machten ihn unter Umständen später blind für das Offensichtliche. Aber Anna schwieg jetzt. Sie wusste nur zu gut, dass es nicht darauf ankam, jemandem die Wahrheit zu sagen. Es kam vielmehr darauf an, diese Wahrheit im richtigen Moment zu sagen – und das war immer ein Moment, in dem sie auch angenommen werden konnte. Alles andere war schlicht sinnlos.
    »Er ist wie eine Zikade«, sagte Haller plötzlich.
    »Wer?«
    »Na, der Mörder. Wer sonst?«
    »Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung davon, wie dieser Vergleich gemeint ist. In Biologie war ich nie besonders gut.«
    Haller lächelte matt. »Zikaden schlüpfen nur alle siebzehn Jahre. In der Zwischenzeit sind sie scheinbar verschwunden, aber nach siebzehn Jahren treten sie so massenhaft auf, dass ihre Fressfeinde völlig überfordert mit den großen Schwärmen sind. Verstehen Sie nicht? Für eine Weile in der Versenkung zu verschwinden ist eine Strategie, um sich seinen Jägern zu entziehen, sie glauben zu machen, dass man gar nicht mehr existiert. Und wenn derjenige dann plötzlich doch wieder aus der Versenkung auftaucht, rechnet niemand mehr mit ihm.«
    »Ein guter Vergleich. Aber ich fürchte, unser Mörder wird keine siebzehn Jahre brauchen, um erneut aufzutauchen. Wir gehen ja davon aus, dass es bei allen Morden dieser Serie derselbe Täter war. Dass seine Reizschwelle inzwischen erheblich vermindert worden ist, dürfte sich schon allein darin zeigen, dass die Abstände zwischen den einzelnen Morden immer kürzer wurden. Er wird immer schneller diesen besonderen Kick brauchen, den ihm seine Taten verschaffen.«

    Mehrere Wiesen waren während des Mittelalter-Marktes in Telgte zu Parkplätzen umfunktioniert worden. Aber Haller dachte gar nicht daran, das letzte Stück bis zum Markt auf der Planwiese, der ganz im Zeichen mittelalterlicher Heerlager, Verkaufsstände und musikalischer Veranstaltungen stand, zu Fuß hinter sich zu bringen. Anstatt die vorgelagerten Parkplätze zu benutzen, fuhr Haller bis zum eigentlichen Markt. Ordner, die ihn aufzuhalten versuchten, bekamen seinen Dienstausweis entgegengehalten.
    Schließlich ging es allerdings auch mit Hilfe dieses Ausweises nicht mehr weiter. Haller stellte den Wagen zu ein paar anderen Dienstfahrzeugen, die bereits früher eingetroffen waren. Anna van der Pütten stieg einen Moment vor ihm aus. Sie ließ den Blick über den Mittelalter-Markt schweifen. Sowohl viele der Aussteller als auch zahlreiche Gäste hatten sich in eine mittelalterliche Gewandung geworfen. Sie trugen Wams, Umhang, spitze Lederstiefel, die die Form eines nach oben gebogenen Schnabels aufwiesen. Die Frauen trugen geschnürte Kleider, und an jeder Ecke gab es Schwerter, Trinkhörner und andere Dinge, die entweder tatsächlich oder vermeintlich mittelalterlich waren. Manchmal mischte sich das mit Accessoires der Gothic- und der Fantasy-Szene, und so fand sich zwischen all den aufrechten Recken, holden Burgmaiden oder bunten Gauklern, die mit ihren Kunststücken die Leute zu unterhalten wussten, hin und wieder auch ein untoter Vampir oder ein mehr oder minder gut geschminkter Ork. Anna war schon einmal auf dem Mittelalter-Markt in Telgte gewesen – allerdings in der Vorweihnachtszeit, wenn dort eine ganz andere, nicht minder reizvolle Atmosphäre herrschte und die hehren Recken und holden Maiden die Kälte mit reichlich Met bekämpften. Die waren in ihrer historischen Gewandung so detailgetreu, dass sie sich die Kleidung etwa mit Pferdehaaren ausstopften. Jetzt war Sommer, und da es in den letzten Wochen nicht geregnet hatte, sank man auf der Wiese wenigstens nicht bis zum Knöchel in den Schlamm ein.
    Es war auffällig, dass viele Leute zusammenstanden und redeten, während sich eine Mittelalter-Rockband auf der Bühne ziemlich vergeblich darum bemühte, ihr Publikum zu begeistern. Aber das war keineswegs die Schuld der Musiker. Genauso wenig wie es an den Auslagen der Händler lag, dass sich im Moment kaum jemand für Dolche, Schwerter, Gewandung oder CDs mit originalgetreuem Minnesang in historisch korrektem Mittelhochdeutsch interessierte. Es hatte sich offenbar inzwischen herumgesprochen, dass irgendetwas Schreckliches geschehen war. Die verhältnismäßig große Anzahl von uniformierten Polizisten war ein Indiz dafür. Außerdem war ein Teil des Marktes quasi abgeriegelt worden. Eine Markierung mit Flatterband zeigte an, welcher Bereich nicht mehr betreten werden durfte.
    »Da sind Sie ja endlich«,
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