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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Autoren: Rupert Mattgey
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wahnsinnig vor Schmerz und Angst, sein Körper eine gefühllose Maschine, sein Verstand fixiert auf den einzigen hellen Punkt in der Finsternis seines Schädels: das Gesicht seiner Frau Marie, die ihm plötzlich so unerreichbar fern schien wie noch nie in seinem Leben. Mit jedem Schritt, den er tiefer in den Stollen vordrang, glitt ihr Bild weiter von ihm fort, bis es schließlich in der Dunkelheit verging.
    „Marie!“, schrie er. „Wo bist du?“ Nur Stille folgte seiner Stimme nach.
    Unter der nächsten Lampe lehnte ein kleiner Körper an der Stollenwand. Alberts Kinn war auf seine Brust gesunken. Sein Blut hatte sich auf dem Boden zu einer Pfütze gesammelt, ehe es von ihm fort in die Finsternis geflossen war, den Spalten und Vertiefungen in der Erde folgend.
    Erik lief weiter. „Marie!“, brüllte er. „Antworte mir!“
    Seine Schritte hallten durch die Dunkelheit wie Donnerschläge. Sein Herz schlug so fest, dass er glaubte, sein Brustkorb müsste zerspringen. In seinen Ohren war ein Rauschen und Kochen und Brodeln, das jedes Geräusch verschluckte, jeden Gedanken ertränkte. „Marie!“
    Der Stollen beschrieb eine Biegung, und als er ihren Scheitelpunkt erreichte, sah er vor sich das Ende des Tunnels. Vor einer massiven Steinwand stand im Licht der letzten Carbidlampe eine einsame Gestalt. „Marie!“, schrie Erik und rannte auf sie zu.
    Doch dann verlangsamte er seine Schritte. Er zwinkerte, um das Blut und den Schweiß aus seinen Augen zu wischen. Die Stollenwände pulsierten vor und zurück. Das Licht flackerte. Sein Sichtfeld verschwamm, sein Blick zog Schlieren. Er presste sich eine Hand auf den Mund und blieb stehen. Die Gestalt am Ende des Stollens war nicht Marie. Er schüttelte den Kopf. „Nein“, flüsterte er mit erstickter Stimme. „Nein. Sie sind tot.“
    „Erik“, sagte Thomas Hellermann und breitete die rot getränkten Arme aus. „Der verlorene Sohn kehrt zurück!“
     
    Erik stolperte vorwärts. Jetzt sah er den zierlichen Körper, der neben dem Pfarrer auf dem Boden lag. Um den Körper herum war die Erde dunkel und glitzerte feucht. „Bitte nicht“, flüsterte Erik.
    „Kommen Sie näher, Erik“, sagte der Pfarrer. „Mein Auge ist dunkel geworden vor Trauern, und alle meine Glieder sind wie ein Schatten.“
    „Was haben Sie mit ihr gemacht?“ Er machte einige unsichere Schritte vorwärts. Dann knickten seine Beine unter ihm weg, und er stürzte auf den rauen Steinboden des Stollens. Er presste das Kind an sich, als könnte es ihm Halt geben. Auf den Knien kroch er auf die am Boden liegende Gestalt zu. „Marie“, flüsterte er. Ihre Haut war bleich und wächsern. Ihr dunkles Haar war ihr übers Gesicht gefallen. Er sah die Rundung ihres Bauches. Jede Hoffnung, die noch in ihm gewohnt hatte, erstarb.
    Die Frau, die da tot in ihrem eigenen Blut lag, war seine Frau. Seine Liebe. Sein Leben.
    „Marie“, flüsterte er wieder und wieder. Er kroch näher. Sein Blick wanderte über ihren Körper, und er sah den tiefen Schnitt in ihrem Hals. Er sah auch die Schnitte in ihren Händen und Armen. Sie hatte sich gewehrt. Er streckte eine Hand aus und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Ihre Schönheit schien in der Dunkelheit zu leuchten. Ihre Lippen waren rot. Ihre Haut war weiß wie Schnee. Und in diesem Moment fuhr ein solcher Schmerz durch seine Brust, dass er sich wimmernd zusammenkrümmte. Die Laute, die aus seiner Kehle drangen, waren die Laute eines Tieres.
     
    Er hörte Schritte näher kommen und hob den Kopf. Die Klinge in der Hand des Pfarrers reflektierte das Licht der Carbidlampe. Erik legte das Kind vorsichtig auf der Erde ab und stand langsam auf. Der Pfarrer kam lächelnd auf ihn zu. Die Überreste seiner Haare hingen in versengten Strähnen von seinem Kopf. Der vordere Teil seiner Schädeldecke war schwarz verkohlt. Sein rechter Arm, der den Stock gehalten hatte, als der Blitz darin einschlug, wirkte wie eine rohe rote Masse. Teile seiner Soutane waren in die Haut eingeschmolzen.
    „Ich zeige Ihnen einen besseren Ort als diesen, Erik. Einen noch schöneren Ort! Lassen Sie mich Ihnen helfen, die Fesseln des Fleisches abzulegen. Es wird nicht wehtun.“
    Erik starrte ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal. Die Lippen des Pfarrers waren in einer grotesken Imitation eines Lächelns über die Zähne zurückgezogen. Seine Augen waren weit aufgerissen und funkelten irre.
    Thomas Hellermann hatte den Verstand verloren.
    Erik packte das Bolzenschussgerät mit beiden
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