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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
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hellste, vor Zug am meisten geschützte Stelle des Raums, sie war in der Nähe des Lattenwerks. Dort schütteten sie einiges Stroh auf und breiteten meine Decke aus. Sie brachten aus meinem Gepäck in den Gestellen des Lattenwerks unter, was sich dort verstauen ließ. Sie boten mir zu essen an, und wir teilten, was ich an Eßbarem mitgebracht hatte. Zu trinken freilich gab es nichts. Das Wasser war spärlich, selbst die Lagerleitung bezeichnete das Wasser nur eines Hahnes als trinkbar, und auch dieses Wasser war bedenklich.
    Einer unter meinen Helfern, Karl N., ein Österreicher, betrachtete sich als mein Diener. Er hatte etwas Langsames, Verschlafenes, war aber dabei anstellig, gutmütig, hilfsbereit und mir außerordentlich ergeben. Sein ganzes Interesse gehörte dem Sport. Der große, schwerfällige, lethargische Bursche belebte sich, wenn er vom Boxen sprach, noch mehr, wenn vom Schwimmen die Rede war; er war selber ein guter Schwimmer. Beim Boxen hatte er, wie es schien, einmal eine ernsthafte Verletzung abbekommen, die wohl auch seinen Geistes- und Gemütszustand verändert hatte. Natürlich erwartete er sich von mir Bezahlung; doch es war sicher nicht allein die Rücksicht aufs Geld, die ihn an mir mit Treue hängen und mich mit Beflissenheit umsorgen hieß.
    Am Abend dieses ersten Tages war ich sehr müde, und ich freute mich darauf, mich auf dem Stroh und der Decke auszustrecken. Aber hier begannen die kleinen Schwierigkeiten, aus denen sich mein Leben während der nächsten Monate zusammensetzen sollte. Es ist nicht ganz einfach, sich auszuziehen und sich für die Nacht zurechtzumachen, wenn man keinen Stuhl hat und kein Bett und keinen Tisch und kein Wasser, nur ein bißchen Stroh, und wenn man zusammen ist mit vielen andern in einem dunkeln Raum. Man weiß nicht, wo man seine Dinge hinlegen soll; der Boden ringsum ist furchtbar schmutzig, was ihn berührt, ist sogleich verdreckt. Und was soll man mit der Uhr anfangen, was mit der Brille? Am besten legt man das wohl in die Schuhe. Aber wo soll man die Schuhe hintun? Karl half mir nach Kräften, aber gemütlich war es nicht. Einem sechsundfünfzigjährigen Herrn, der gewohnt ist, ein Schlafzimmer für sich und ein sauberes Bett zu haben, fällt es nicht ganz leicht, auf der Erde und auf schmutzigem Stroh zu schlafen, er weiß zunächst nicht, wie er das technisch am besten machen soll.
    Allein am Ende siegte die Ermüdung des bewegten Tages über die mannigfachen kleinen Hindernisse, und als des Morgens um halb sechs Uhr das Signal zum Aufstehen ertönte, riß es mich aus tiefem Schlaf.

    Am nächsten Tag – wir dürften da unser etwa siebenhundert gewesen sein – wurde zum ersten Mal eine Art Appell abgehalten, und wir wurden in Gruppen eingeteilt.
    Der Mann, der diese Einteilung leitete, war ein Sergeant oder vielleicht auch etwas Höheres; ich kann die militärischen Rangabzeichen nicht recht unterscheiden. Unsere Wachsoldaten, wiewohl sie keine Araber waren, trugen rote Fes, und wenn sie in dieser leuchtenden Kopfbedeckung und mit dem blitzenden Bajonett auf der schanzenartigen Böschung standen, davor der grellweiße Hof, dahinter die sanftgrüne Landschaft, so wirkten sie sehr malerisch. Aber gar nicht soldatisch. Sie waren keine Soldaten, sie waren Bauern und kleine ländliche Handwerker, die man in Uniformen gesteckt hatte. Auch der Sergeant, der den Appell abhielt, ein stattlicher Mann mit buschigem Schnurrbart, fleischigem Gesicht und mächtiger Stimme, war bei allem martialischen Gehabe ein gutmütiger, keineswegs kriegerischer Bursche.
    Er sonderte uns zunächst in drei Gruppen: Deutsche, Österreicher, ehemalige Fremdenlegionäre.
    Denn man hatte groteskerweise nicht einmal die früheren Fremdenlegionäre mitteleuropäischer Abstammung von der Internierung ausgenommen. Es gab unter ihnen solche, die zwanzig und dreißig Jahre für Frankreich Militärdienst getan hatten. Viele hatten in französischen Schlachten gefochten, einige im Kampf für die Sache Frankreichs einen Arm verloren oder ein Bein, fast alle besaßen sie militärische Auszeichnungen. Nun stampften sie grimmig herum, die Brust übersät mit Bändern und Medaillen, der Ärmel schlotterte um den Armstumpf, die Prothese klapperte über den schmutzigen Boden der Ziegelei, der Höfe. Manche schauten recht verwegen aus und so, daß man ihnen nicht gern des Nachts allein begegnet wäre. Viele konnten kein Wort Deutsch mehr, sie sprachen nur französisch. Selbst die Wachsoldaten waren
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