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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
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erbittert darüber, daß Frankreich diesen Männern die geleisteten Dienste nun so vergalt.
    Wir wurden also eingeteilt in Deutsche, Österrei- cher, Fremdenlegionäre. Dies bedeutete, daß ich von meinem Karl und den andern hilfsbereiten Österreichern getrennt wurde. Dann hatten wir Aufstellung zu nehmen in Gruppen von je zwanzig Mann. Und diese zufällige Aufstellung war entscheidend für die nächsten Wochen, ja Monate; denn der einzelne war nun mit seiner Gruppe in bezug auf Unterkunft, Zuteilung des Essens, der Arbeit, in bezug auf sein gesamtes tägliches und nächtliches Leben für immer verbunden. Die Mitglieder seiner Gruppe waren seine Schlaf- und Eßkameraden, Zeugen aller seiner Leibesfunktionen, er war in hundert kleinen Dingen des Alltags von ihnen abhängig. Ja, man war ständig aufeinander angewiesen, auf die Nachbarn, auf die Mitglieder der Gruppe, und der Zufall dieser ersten Aufstellung schuf Freundschaften und Feindschaften auf lange Zeit.

    Nach vollzogener Einteilung wurden wir wieder in den ersten Stock geführt. Während wir an unserm ersten Tag hatten aussuchen können, wo wir unser Stroh aufschütten wollten, wurde jetzt jeder einzelnen Gruppe ihr Platz zugewiesen. Meine Gruppe bekam keinen günstigen Platz. Wir mußten uns lagern in der Mitte des Saales, fern von den Fenstern und vom Lattenwerk, dort wo es am dunkelsten war. Außerdem standen wir oder lagen wir jedermann im Weg, und man trampelte wohl oder übel über unsere Strohlager. Auch war der uns zugewiesene Raum besonders eng; als wir ausmaßen, traf auf einen jeden von uns eine Breite von siebenundsiebzig Zentimeter. Einen Durchgang zwischen der Reihe unserer Strohschütten und der hinter uns gab es nicht, so daß wir also nicht nur Seite an Seite, sondern auch Scheitel an Scheitel lagen.
    Die andern schütteten ihr Stroh auf, mein Karl war nicht sichtbar, er konnte nicht los von seinen Österreichern, denen ein anderer Saal zugewiesen worden war. Für mich war kein Stroh mehr übrig. Da stand ich, ziemlich hilflos. »Kommen Sie her, kommen Sie zu mir«, sagte schließlich einer, und dieser eine war von nun an mein Nachbar. Er war Arbeiter, Mechaniker, ein kleiner, gutmütiger, ziemlich jähzorniger Mensch Mitte der Vierzig. Er sprach so stark saarländischen Dialekt, daß ich ihn manchmal nur mit Mühe verstand.
    Er war ein sehr angenehmer Nachbar, gewandt und gefällig. Sofort half er mir, durch Aufstellung meines Koffers eine Scheidewand zwischen mir und meinem Hintermann zu errichten, damit wir nicht mit den Köpfen aneinanderstießen. Auch gewann ich auf diese Art eine Ablage für meine Schuhe; in ihnen konnte ich nachts über Uhr und Brille verwahren, damit sich diese Dinge nicht im Stroh verlören und zerbrächen. Auch in der Folgezeit erwies mir mein Nachbar mancherlei Dienste. Er wurde, zusammen mit französischen Arbeitern, in der Werkstatt beschäftigt, er bekam besseres Essen als wir, des Abends brachte er mir immer allerlei gute Sachen mit, häufig auch Wein, dazu die Nachrichten, die er von seinen französischen Kameraden gehört hatte. Ich hätte schwerlich einen bessern Nachbar finden können. Er hatte nur eine unangenehme Eigen schaft, eine, an der er vollkommen unschuldig war: des Nachts, nach der Arbeit, roch er nicht gut.
    Gestern hatte mir das Lattenwerk zur Unterbringung meiner Sachen gute Dienste getan. Jetzt war ich von dort vertrieben worden und hatte dadurch ungeschriebenen Gesetzen zufolge meinen Anspruch auf Benutzung der Gestelle verloren. Allein die neuen Inhaber meines früheren Raumes erlaubten mir ohne weiteres, den Teil des Lattenwerks beizubehalten, den ich benötigte. Sie waren, wie auch ein großer Teil meiner Gruppenkameraden, Proletarier. Sie behandelten mich mit freundschaftlicher Achtung. Aus den Gestellen rissen sie, obgleich das verboten war, einige Latten heraus und zimmerten für mich in der Nähe der Fensterluke etwas wie eine Bank und einen Tisch. So gewann ich schräg gegenüber meiner Schlafstätte Gelegenheit, zu sitzen und sitzend zu essen, zu schreiben, zu lesen. Bald empfand ich mein Strohlager und die Nische schräg gegenüber mit den Tisch- und Sitzlatten als Wohnung, als meinen natürlichen Rahmen, als etwas, das durchtränkt war von meinem Wesen.
    Es waren unter den Arbeitern meiner und der Nachbargruppe vier, mit denen ich mich besonders gern unterhielt, Saarländer allesamt. Es waren überhaupt viele Saarländer unter uns. Jenen Leuten, die sich während der Abstimmung, ob
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