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Der Teufel in der Weihnachtsnacht

Titel: Der Teufel in der Weihnachtsnacht
Autoren: Charles Lewinsky
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weihnachtlicher Süßigkeiten zu völlig neuen theologischen Erkenntnissen gelangen konnte, das war ihm neu. «Sie meinen», fragte er mit zitternder Stimme, «Sie meinen: Gott langweilt sich?»
    Der Teufel zuckte zusammen wie unter einem plötzlichen Migräneanfall. «Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Namen nicht erwähnen würden.»
    «Entschuldigung», sagte der Papst.
    «Schon gut. Natürlich langweilt sich der da oben. Ständig immer nur allwissend sein und ab und zu mal eine neue Welt erschaffen, das füllt den Tag ja auch nicht aus.»
    «Und dann wettet er mit Ihnen?»
    «Nicht nur mit mir. Manchmal auch mit einem seiner Engel. Aber die lassen ihn ja immer gewinnen, diese rückgratlosen Speichellecker.»
    «Waren Sie nicht selber einmal ein Engel?»
    Der Teufel verschluckte sich und musste erstein ganzes Weilchen Feuer in sein Taschentuch spucken, bevor er weiterreden konnte. «Meine Biographie ist meine Privatsache», sagte er dann würdevoll.
    «Entschuldigung.» Es fiel dem Papst gar nicht auf, dass er sich jetzt schon das zweite Mal bei Satan entschuldigte. «Haben Sie denn schon einmal eine Wette gegen … ich meine: gegen den da oben gewonnen?»
    «Ich gewinne dauernd. Er findet nur immer einen Trick, um den Gewinn dann doch selber einzustreichen.»
    «Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass Gott … Entschuldigung … dass der da oben mogelt?»
    «Aber nein!»
    «Das will ich auch hoffen.»
    «Er geht immer streng nach den Regeln vor. Aber schließlich ist er es, der die Regeln bestimmt.» Ein Schauer blinkender Sternschnuppen hüllte den Wagen ein. «Sehen Sie», sagteder Teufel vorwurfsvoll, «jetzt lacht er mich auch noch aus.»
    Dann fielen sie. Senkrecht in die Tiefe tauchte der Ferrari, quer durch die Harfenprobe eines Engelorchesters, haarscharf vorbei an den Rentieren vor dem Schlitten des Weihnachtsmanns, immer tiefer hinab, durch Wolkengebirge und Schwärme auseinanderstiebender Vögel, tiefer und tiefer, auf Gebirge zu, die sich ihnen entgegenreckten wie Krallen, durch Gletscherspalten und Schluchten, und immer weiter fielen sie, rasten auf Städte zu, auf Häuser, auf Dächer. Der Papst fragte sich schon, ob der Sturz wohl erst in der Hölle enden würde, und der Teufel, der einen auch hört, wenn man gar nichts gesagt hat, antwortete bedrohlich beruhigend: «Nicht direkt in der Hölle, aber so ähnlich. Ich habe für die Menschen etwas noch Besseres erfunden.»
    Auf eine riesige Schüssel aus Metall stürzten sie zu, fielen durch sie hindurch, rasten rüttelndund schüttelnd durch ein Labyrinth aus Röhren und Kabeln und Leitungen, es wurde dunkel um sie herum, ein von tanzenden Lichtblitzen vibrierendes Schwarz, und dann wurde ein leuchtendes Rechteck größer und immer größer, sie sausten auf einen Bildschirm zu, durch ihn hindurch – und eine professionell freundliche weibliche Stimme sagte: «Und jetzt begrüßen Sie bitte mit mir einen weiteren Gast in unserer Talkrunde: den Papst persönlich!»
    Applaus brandete auf und schwappte wie eine Welle über den Papst hinweg. Er saß in einem Sessel, an dessen Seitenlehnen er sich mit beiden Händen festklammern musste, um nicht in den Tiefen des fotogenen Designerstücks zu versinken, vier Objektive waren auf ihn gerichtet wie die riesigen Augen mythologischer Tiere, und die Stimme, deren Besitzerin er von Scheinwerfern geblendet immer noch nicht hatte eruieren können, wollte von ihm wissen: «Was halten Sie von der neuen Frühjahrsmode?»
    «Wie bitte?»
    «Wer ist Ihr ganz persönlicher Favorit in dem Kampf, der in diesem Jahr auf den Laufstegen tobt?»
    «Was für ein Kampf?»
    «Auf der einen Seite schwingende, glockenförmige Röcke und auf der anderen Seite diese hautengen Kreationen, die die Weiblichkeit so aufregend betonen.»
    «Ich verstehe nichts von Kleidern», sagte der Papst.
    «Deshalb haben wir Sie ja eingeladen. Wer könnte den Streit der Experten besser entscheiden als ein Mann, der bei diesem Thema gewissermaßen beruflich zur Neutralität verpflichtet ist? Wir freuen uns ganz besonders …»
    «Ich gehöre nicht hierher.»
    Aber die unerbittlich freundliche Stimme war keine von jenen, die sich gerne unterbrechen lassen. «Wir freuen uns ganz besonders», fuhr sie fort, «dass wir Ihnen, liebe Zuschauer, in unseremdiesjährigen bunten Weihnachtsprogramm nicht nur den Sieger von ‹Big Brother›, sondern als erste Talkshow überhaupt den Papst präsentieren dürfen. Live bei uns! Was der Heilige Vater zum Thema
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