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Der Tempelmord

Der Tempelmord

Titel: Der Tempelmord
Autoren: Bernhard Hennen
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umgebenen Altar vor dem Tempelportal der Göttin dargebracht werden.
    Philippos lief das Wasser im Munde zusammen, wenn er an all das Fleisch dachte, das bis zum Ende des Tages noch aufgetischt werden würde. Für den Tempel, also für die Priesterinnen und ihre Gäste, würden die besten Stücke zurückbehalten werden, während das übrige Fleisch vom Kollegium der Kureten nach einem strengen Ritual an die Vertreter der verschiedenen Stadtviertel von Ephesos weitergegeben würde. Jeder Bürger sollte einen Anteil am Fleisch der Opfertiere erhalten.
    Philippos dachte an seine Kindheit in Athen. Sein Vater war ein armer Töpfer gewesen, und es hatte nur sehr selten Fleisch in ihrem Haus gegeben. Doch jedes Jahr, wenn das Fest zu Ehren der Athene, der Schutzpatronin der Stadt, gefeiert wurde, hatten die Töpfer und Schmiede, so wie es von alters her ihr Recht war, das Hirn der Opferstiere erhalten. Als sei es erst gestern gewesen, konnte er sich daran erinnern, wie er und seine beiden Brüder vor der Tür ihres Hauses darauf gewartet hatten, daß der Vater mit einem blutigen Leinenbeutel die enge Gasse herunterkam, die zur Akropolis führte.
    Anschließend hatten sie nicht von der Seite ihrer Mutter weichen wollen, während sie an der Herdstelle das Mahl bereitete. Obwohl er heute manchmal die Ehre hatte, zu Gast an der Tafel des Ptolemaios zu sein, so hatte Philippos nur selten etwas zu essen bekommen, das ihm so köstlich mundete wie das gekochte Hirn und die frischen Brotfladen, die es an den Festtagen seiner Kindheit gegeben hatte.
    Gedankenverloren blickte der Arzt dem hölzernen Götterbild nach. Für ein Jahr lang würde Artemis nun in das Allerheiligste des gewaltigen Tempels zurückkehren. Merkwürdig genug, daß diese Art des Kultes den Menschen des barbarischen Landes gefiel. Zu Tausenden kamen sie jedes Jahr in die Stadt, um den riesigen Tempel zu bewundern, und sie brachten ihr Geld mit und gaben es für allen möglichen Unsinn aus.
    Er konnte es durchaus verstehen, dachte Philippos, wenn man einen Monatssold beim Würfeln verspielte oder in Wetten bei einem Wagenrennen steckte. Auch eine schöne Hetaire war es wert, daß man sich großzügig zeigte. Doch wie man sein Silber für Ton- oder Elfenbeinfigürchen ausgeben konnte, die eine Nachbildung der mit Stierhoden behängten Artemis darstellten, das würde er niemals begreifen! Und doch konnte man überall in der Stadt kleine Skulpturen der Göttin kaufen oder auch kostbare, rotfigurige Amphoren und Schalen erwerben, die Szenen aus dem Leben der Göttin zeigten.
    Es war etwas anderes, wenn man ein schönes Weihgeschenk kaufte und es der Göttin stiftete. Er selbst hatte dies vor einigen Wochen erst getan, und Philippos war sicher, daß die Göttin schon wußte, daß er nicht dem seltsamen Irrglauben der Epheser anhing. Einen halben Monatslohn hatte er für eine silberne Fibel ausgegeben, die als Gewandschmuck der Göttin dienen mochte. So, wie man einen Herrscher beschenkte, um sich seiner Gunst zu vergewissern, so war es auch bei den Göttern klüger, nie geizig und selbstherrlich zu erscheinen. Sie waren launisch und vermochten einem das Leben durch allerlei Schicksalsschläge zu erschweren. Schließlich konnte allein Artemis wissen, wie lange der Hofstaat des Ptolemaios noch auf dem Gelände ihres Heiligtums Zuflucht suchen mußte. So wie die Dinge standen, würde der König nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Hilfe römischer Waffen seinen Thron zurückerobern können.
    Philippos betrachtete die kleine Schar Ergebener, die Ptolemaios in den zwei Jahren, die er nun schon fern von Ägypten war, die Treue gehalten hatte. Es waren erschreckend wenige! Doch zum Glück gab es auch noch andere, die offenbar fest mit der Rückkehr des Herrschers rechneten. Vor ein paar Wochen erst war eine Gesandtschaft von
    Priestern aus einem Tempel tief im Süden des Landes nach Ephesos gekommen, um sich mit Ptolemaios zu beraten, und vor drei Tagen hatte eine Galeere kostbare Geschenke aus der Hafenstadt Tyros gebracht, mit der sich die dortigen Handelsherren der Neigung des Herrschers versichern wollten. Es lag allein bei Aulus Gabinius, dem römischen Proconsul von Syrien, ob Ptolemaios wieder in Alexandria herrschen würde. Noch wartete der Römer geduldig auf einen Befehl des Senats für diesen Feldzug, doch vielleicht würde schon bald die Verlockung des ägyptischen Goldes so groß werden, daß er es auch ohne diesen Befehl wagte, seine Legionen in Marsch zu
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