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Der Tempelmord

Der Tempelmord

Titel: Der Tempelmord
Autoren: Bernhard Hennen
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Frevler ist tot! Die Ehre der Göttin ist wiederhergestellt. So rühmet nun die Artemesia Ephesia, die Herrin unserer Stadt!« Die Stimme des Mannes klang durch seine tönerne Daimonenmaske so dunkel und unheimlich, als spräche ein Bote des Hades.
    Einen Augenblick noch währte Stille. Die Menschen konnten die Worte des Priesters kaum fassen. Dann rief irgendwo in der Menschenmenge eine Frau den Namen der Göttin, und als sei ein Bann gebrochen, stimmten Hunderte in ihren Jubelschrei ein.
    Inzwischen hatte Batis den gestürzten Hofbeamten auf seine Arme genommen. Zwei Kureten geleiteten ihn an den Stufen des Tempels vorbei durch die Reihen der dichtgedrängten Zuschauer. Leblos hing der Körper des Hofbeamten in den Armen des Nubiers, und jetzt endlich konnte der Arzt das Gesicht des Mannes erkennen, der für die ganze Aufregung gesorgt hatte. Es war Buphagos, der Mundschenk des Pharaos. Der Makedone mit seinem runden Gesicht war Philippos nie sonderlich aufgefallen. Er war ein unscheinbarer Mann gewesen, und soweit der Grieche dies beurteilen konnte, war Buphagos auch nicht in die Intrigen am Königshof verwickelt. Was, bei den Göttern, mochte ihn nur dazu gebracht haben, sich wie ein Besessener zu gebärden und die Prozession zu stören? Die Epheser hatten dem König und seinem Hofstaat Asyl gewährt, nachdem Ptolemaios wegen der Morde an den Gesandten seiner Tochter Berenike gezwungen gewesen war, Italien zu verlassen. Doch würden sie ihn nach diesem Zwischenfall noch länger in ihrer Stadt dulden?
    Der Prozessionszug hatte sich inzwischen neu formiert. Einmal noch sollte das Bild der Göttin um den riesigen Tempel herumgetragen werden, dann würde man Artemis wieder in ihre kostbaren Gewänder hüllen und zum Giebel des Tempels hinauftragen, von wo aus sie der Opferung der ihr geweihten Stiere und Ziegen beiwohnen würde.
    Den ganzen Weg über hatte Philippos kein Wort herausgebracht. Verärgert musterte Samu den mürrischen Griechen aus den Augenwinkeln. Wenn er glaubte, er könne seine schlechte Laune an ihr auslassen, dann hatte er sich geirrt. Sie war erst vor zwei Wochen aus Pompeji nach Ephesos gekommen, doch hatte sie sich in der kurzen Zeit schon mehr als genug über ihn geärgert. Dieser aufgeblasene ehemalige Legionsarzt spielte sich auf, als sei er Hippokrates persönlich.
    Als neuer Leibarzt des Ptolemaios glaubte er, sie gängeln zu können, und wann immer sie auch nur einen Kräutertrunk gegen eine Magenverstimmung ansetzte, meinte er, sich einmischen zu müssen. Selbst in die Erziehung Kleopatras hatte er ihr schon hineingeredet! Der Grieche hatte doch tatsächlich die Unverschämtheit besessen, der Kleinen zu erklären, als Prinzessin mit makedonischem Blut sei es viel wichtiger für sie, Zeus und Athene zu opfern, statt den tierköpfigen Göttern eines Barbarenlandes.
    Daß sie beide jetzt nicht an dem Bankett teilnehmen konnten, von dem Philippos schon seit Tagen redete, bereitete Samu eine gewisse Genugtuung. Ihr bedeutete der Festschmaus nichts, doch dem Griechen war das Gelage aus ihr unerklärlichen Gründen sehr wichtig gewesen.
    Potheinos hatte ihnen beiden den Befehl gegeben, sich den toten Mundschenk noch einmal genauer anzusehen. Samu kannte den Berater des Pharaos als kaltblütigen Machtmenschen, der auch vor Morden nicht zurückschreckte, wenn es für ihn darum ging, seine Ziele zu erreichen. Doch als er ihnen den Befehl zur Leichenschau gegeben hatte, wirkte er aufgewühlt, ja sogar regelrecht erschüttert. Ganz so, als habe er etwas Unglaubliches gesehen! Der Eunuch war leichenblaß gewesen, und während er mit ihnen sprach, hatte Samu bemerkt, wie seine Hände zitterten.
    »Hier ist es!« Der Priester, der sie und Philippos geführt hatte, wies auf einen niedrigen Stall. »Dort drinnen haben wir ihn aufgebahrt.«
    »Na schön«, rief Philippos. »Dann schauen wir uns Buphagos kurz an und erledigen unsere leidige Pflicht. Wir müssen hier ja nicht mehr Zeit verbringen als unbedingt notwendig. Ich bin Arzt: mit Toten habe ich nichts zu schaffen!« Ein wenig steif trat er in den Stall, aus dem ihnen der herbe Geruch von Stroh und Urin entgegenschlug.
    »Was ist mit dir? Willst du hier draußen warten?« fragte Samu den jungen Priester.
    Der Mann wich ihrem Blick aus. »Ich muß dort nicht hinein. Ich habe ihn schon gesehen ... Meine Aufgabe war allein, Euch hierher zu bringen, Herrin.«
    Ohne weiter auf den Kureten zu achten, trat die Isispriesterin in das Zwielicht des
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