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Der Talisman

Der Talisman

Titel: Der Talisman
Autoren: Stephen King und Peter Straub
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bringen mir das Glas. Okay?«
    »Ja, Madam.« Wäßrigkalte Neuengland-Augen, die seine Mutter ohne eine Spur von Zuneigung anstarrten. Wir sind die einzigen Gäste hier, dachte Jack, der es erst jetzt begriff. Die einzigen. »Junger Mann?«
    »Ich möchte eine Cola«, sagte Jack unglücklich.
    Der Kellner ging. Lily wühlte in ihrer Handtasche, zog eine Schachtel Herbert Tarrytoons heraus (so hatte sie sie genannt, als Jack noch ein kleiner Junge gewesen war, »bring mir meine Tarrytoons von dem Regal dort drüben«; und so nannte er sie in Gedanken noch heute) und zündete sich eine an. Dann hustete sie den Rauch in drei harten Stößen aus.
    Es war ein weiterer Stein auf seinem Herzen. Vor zwei Jahren hatte seine Mutter mit dem Rauchen aufgehört. Jack hatte mit jenem eigenartigen Fatalismus, der die Kehrseite kindlicher Gutgläubigkeit und Unschuld darstellt, auf einen Rückfall gewartet. Seine Mutter hatte immer geraucht, sie würde bald wieder anfangen. Aber sie hatte es nicht getan – bis vor drei Monaten, in New York. Carltons. War in ihrem Wohnzimmer am Central Park West herumgewandert, qualmend wie eine Lokomotive, oder hatte vor dem Plattenschrank gehockt und in ihren alten Rockplatten oder den Jazzplatten ihres toten Mannes gekramt.
    »Du rauchst wieder, Mom?« hatte er sie gefragt.
    »Ja. Kohlblätter«, hatte sie geantwortet.
    »Ich wollte, du tätest es nicht.«
    »Warum stellst du nicht den Fernseher an?« Sie hatte mit ganz ungewohnter Schärfe reagiert und sich mit fest zusammengepressten Lippen zu ihm umgedreht. »Vielleicht erwischst du Jimmy Swaggart oder Reverend Ike. Scher dich mit den Betschwestern in die Halleluja-Ecke.«
    »Entschuldige«, hatte er gemurmelt.
    Immerhin – es waren nur Carltons gewesen. Kohlblätter. Aber jetzt waren es die Herbert Tarrytoons – die altmodische blau-weiße Packung, die Mundstücke, die wie Filter aussahen, aber keine waren. Er erinnerte sich vage, dass sein Vater einmal gesagt hatte, dass er Winstons rauchte und seine Frau Lungenschwärzer.
    »Siehst du Gespenster, Jack?« fragte sie ihn jetzt, die zu stark glänzenden Augen auf ihn gerichtet, die Zigarette in der üblichen, etwas exzentrischen Position zwischen dem Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Forderte ihn heraus, etwas zu sagen. Forderte ihn heraus zu der Bemerkung: »Mom, du rauchst wieder Herbert Tarrytoons – heißt das, dass du meinst, du hättest ohnehin nichts mehr zu verlieren?«
    »Nein«, sagte er. Dieses erbärmliche, bestürzende Heimweh überkam ihm wieder, und ihm war nach Weinen zumute. »Es ist nur dieser Laden hier. Er hat etwas Gespenstisches.«
    Sie sah sich um und lächelte. Zwei weitere Kellner, einer dick, der andere dünn, beide in roten Jacken mit gelben Hummern auf dem Rücken, standen an der Schwingtür zur Küche und unterhielten sich leise. Quer vor dem Eingang zu einem großen Speisesaal gegenüber der Nische, in der Jack und seine Mutter saßen, hing eine Samtschnur. Die Stühle in dieser dunklen Höhle waren auf die Tische getürmt. Am hinteren Ende gaben große Fensterwände den Blick auf eine raue Strandlandschaft frei, die Jack an Death’s Darling erinnerte, einen Film, in dem seine Mutter mitgespielt hatte. Sie hatte eine junge Frau mit viel Geld gespielt, die gegen den Willen ihrer Eltern einen dunklen, gutaussehenden Fremden heiratete. Der dunkle, gutaussehende Fremde hatte sie in ein großes Haus am Meer gebracht und versucht, sie in den Wahnsinn zu treiben. Death’s Darling war für Lily Cavanaughs Karriere mehr oder weniger typisch gewesen – sie hatte Hauptrollen in zahlreichen Schwarzweißfilmen gespielt, in denen gutaussehende, aber bald wieder vergessene Schauspieler mit dem Hut auf dem Kopf in Ford-Kabrioletts durch die Landschaft fuhren.
    Das Schild, das von der den Eingang versperrenden Samtschnur herabhing, war eine absurde Untertreibung: DIESER RAUM IST GESCHLOSSEN.
    »Es ist tatsächlich ein bisschen komisch«, sagte sie.
    »Wie im Schattenreich«, entgegnete er, und sie ließ ihr hartes, ansteckendes, liebenswertes Lachen hören.
    »Oh, Jacky, Jacky, Jacky«, sagte sie und beugte sich vor, um ihm lächelnd durch das zu lange Haar zu fahren.
    Er schob ihre Hand beiseite, gleichfalls lächelnd (aber ihre Finger fühlten sich an wie Knochen. Sie ist so gut wie tot, Jack …) »Das Berühren der Figuren mit den Pfoten ist verboten.«
    »Mach dich nicht mausig.«
    »Ziemlich kess für so ein altes Mädchen.«
    »Komm nur und versuche, diese
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